Verhaltensunterschiede:Warum ticken Mädchen anders als Jungen?

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Jungen nehmen anderen Kindern öfter das Spielzeug weg als Mädchen. Das hat nichts mit Erziehung zu tun, sondern mit den Genen.

Mädchen verhalten sich anders als Jungen - das ist eine alte Erfahrung von Eltern und Lehrern. Aber wo liegen die Gründe dafür? In den vergangenen Jahrzehnten antworteten Soziologen, Pädagogen und Psychologen meist: am prägenden Vorbild der Umwelt, an vorgelebten gängigen Rollenklischees. Zunehmend bestreiten das Forscher: Viele Unterschiede seien biologisch bedingt, also angeboren.

"Lernen können wir sehr viel. Nur wirken sich eben unsere anlagebedingten Neigungen aus, und das haben Forscher in den letzten Jahrzehnten wohl nur unzureichend berücksichtigt, wie sich jetzt zeigt", heißt es in der aktuellen Ausgabe des Magazins "Gehirn & Geist" (Heidelberg; Nr. 5/2003).

Andere Reaktionen vom ersten Tag an

Zitiert wird dazu die Psychologin Doris Bischof-Köhler von der Universität München: "Bestimmte geschlechtstypische Verhaltensunterschiede lassen sich bereits von Geburt an nachweisen." Schon vor einiger Zeit zeigte das eine Untersuchung amerikanischer Psychologen. So sind Jungen vom ersten Lebenstag an impulsiver, schwerer zu beruhigen, rascher emotional aufgedreht. Mit sechs Monaten ist es ihnen deutlich wichtiger als Mädchen, sich durchzusetzen. Sie nehmen auch häufiger anderen Kindern Spielzeuge weg.

Schon mit einem Jahr spielen Mädchen lieber mit Stofftieren und Puppen, Jungen bevorzugen Autos und andere Maschinen - alles, das irgendwie funktioniert. Jungen interessieren sich auch eher für verbotene Dinge und raufen vom dritten Lebensjahr an gerne. "Natürlich gibt es immer auch Ausnahmen - die Tendenzen aber sind klar verschieden", heißt es dazu.

Unterschiedliche Rolle von Müttern und Vätern

Wenn die unterschiedlichen Tendenzen großenteils tatsächlich mit in die Wiege gelegt sind, müssen sie auch einen biologischen Sinn und Nutzen haben. Die Münchner Psychologin verweist hierzu auf die grundlegend unterschiedliche Rolle von Müttern und Vätern. Für Frauen rangiere wegen ihrer hohen elterlichen Investition für den Nachwuchs eine fürsorgliche Veranlagung an erster Stelle. Für das männliche Verhalten sei vor allem das Bestehen gegenüber den Geschlechtsgenossen maßgeblich.

Über Jahrmillionen unserer Entstehungsgeschichte hing das Gedeihen eines Säuglings allein von der Qualität der mütterlichen Zuwendung ab. Mehrere Studien haben gezeigt, dass fürsorgliche Tätigkeiten den meisten Frauen eine tiefe Befriedigung verschaffen. Die charakteristischen Verhaltensweisen von Männern bildeten sich letztlich unter ihrem ständigen Rivalitätsdruck heraus. Wie manche Studien belegen, haben Männer im Mittel mehr Spaß an Konkurrenzsituationen und schätzen Statusunterschiede in der Gruppe, während Frauen tendenziell eher Gleichheit wünschen und häufiger Wettbewerben aus dem Weg gehen.

Getrennter Unterricht stärkt das Selbstbewusstsein

Die praktischen Folgerungen gelten auch für den Schulunterricht. Gemischte Klassen von Jungen und Mädchen führen nicht unbedingt zu einer Angleichung der Interessen und Chancen. Mehrere Untersuchungen haben ergeben, dass Schüler in gemischten Klassen wesentlich stärker zu geschlechtstypischen Präferenzen neigen. So wählten Jungen im Vergleich zu getrenntem Unterricht häufiger mathematisch- naturwissenschaftliche Fächer, Mädchen Sprachen und Kunst.

An getrenntgeschlechtlichen Schulen und Universitäten gewinnen Frauen stärkeres Selbstbewusstsein und wählen häufiger Naturwissenschaften, als wenn sie ihre Schullaufbahn mit Jungen gemeinsam absolvieren. Und sie streben später eher Führungspositionen an.

Kontraproduktive Gleichbehandlung

Eines bezeichnet der Magazin-Beitrag jedenfalls als klar: "Die vielfach propagierte Gleichbehandlung als Heilmittel gegen weibliche Benachteiligung würde nur dann funktionieren, wenn Jungen und Mädchen sich in ihren Verhaltensanlagen nicht wesentlich unterschieden".

Strikte Gleichbehandlung wirke sich kontraproduktiv aus: Geschlechtstypische Dispositionen schlügen nur um so kräftiger durch. Die prominente amerikanische Geschlechterforscherin Eleanor E. Maccoby (Stanford University) hat in ihrem neuen Buch "Psychologie der Geschlechter. Sexuelle Identität in den verschiedenen Lebensphasen" einen wichtigen Beitrag zu dieser Diskussion geleistet. In einer Bilanz wandelt sie ihre frühere Einschätzung, dass es eigentlich nur einen unwesentlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern gebe. Bei der Entwicklung der offenkundigen geschlechtstypischen Verhaltensmuster schienen dagegen die biologische Prägung gemeinsam mit kindlichen Erfahrungen entscheidend zu sein. Die Sozialisation durch die Eltern spiele dabei nur eine untergeordnete Rolle.

(sueddeutsche.de/ Rudolf Grimm - dpa)

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