Verfahren gegen Dutroux:Der Prozess, der zur Belagerung wird

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Die belgische Kleinstadt Arlon muss sich wegen des Verfahrens gegen Marc Dutroux auf eine Zeit im Ausnahmezustand einrichten.

Von Cornelia Bolesch

Arlon - Sehnsüchtig hat Bürgermeister Guy Larcier auf diesen Tag gewartet. "Wenn der Prozess endlich angefangen hat, geht er auch irgendwann zu Ende." So tröstet sich der 63-Jährige über ein Schicksal hinweg, das er und mit ihm viele seiner Mitbürger in der kleinen belgischen Stadt Arlon für höchst ungerecht halten.

Müssen ausgerechnet hier, in dieser grundsoliden, friedlichen Provinzstadt, die schrecklichen Taten des Marc Dutroux abgeurteilt werden? Wird der Name Arlon künftig nicht mehr mit den Überresten der alten Römer oder der Schokoladenfirma Ferrero, sondern mit dem Namen eines Mädchenquälers verbunden sein?

An diesem Montag beginnt er endlich: der Prozess gegen Marc Dutroux und drei weitere Angeklagte - acht Jahre nach den Entführungen von sechs Mädchen und dem qualvollen Tod von vier der Opfer. Seit seiner Festnahme lebt Dutroux unter den Dächern von Arlon, im örtlichen Gefängnis. Daran haben sich die Einwohner inzwischen gewöhnt. Der abgeschirmte Gefängnisinsasse Dutroux ist ja auch nichts, verglichen mit dem Ausnahmezustand, auf den sich das 26000-Seelen-Städtchen jetzt vorbereitet.

Richter, Anwälte und Geschworene schlafen in der Kaserne

Tausende zusätzliche Besuchern werden im Gefolge des Prozesses erwartet. Allein mehr als tausend Medienvertreter haben sich angemeldet, darunter zwei vom arabischen Sender al-Dschasira. Alle Hotels sind ausgebucht. Richter, Anwälte und Geschworene werden in einer nahe gelegenen Kaserne untergebracht. Die Polizei hat weiträumige Straßensperren angekündigt, um den Gerichtsort zu sichern.

Den neuen Takt in ihrer Stadt haben die Bewohner in diesen Tagen schon mehrmals miterlebt: Mit großem Polizei-und Medienaufgebot ist kürzlich Dutrouxs Partnerin Michelle Martin vom Frauengefängnis in Namur ins Gefängnis von Arlon verlegt worden. Das ist eigentlich nur für Männer gedacht. Michelle Martin hat einen Sondertrakt bezogen. Einige Dutzend der 105 Gefangenen mussten umquartiert werden. Auch Michel Lelièvre sitzt in Arlon. Nur der vierte Angeklagte, der Brüsseler Finanzbetrüger Michel Nihoul, konnte sich kurz vor dem Prozess doch noch das Recht erklagen, weiter auf freiem Fuß zu bleiben.

Blaulicht, Martinshörner und Gedränge werden künftig den Rhythmus in Arlon bestimmen. Und das nur, weil Marc Dutroux vor acht Jahren von den Ermittlern im wenigen Kilometer entfernten Neufchateau gefangen werden konnte und dadurch das Gericht in der Provinzhauptstadt Arlon für den Fall zuständig wurde. Das 1993 neu gebaute verglaste Gerichtsgebäude ist viel zu klein für einen "Jahrhundert-Prozess", den niemand in Arlon haben wollte. Diese Stadt ist immer zufrieden gewesen mit ihrem bescheidenen Wohlstand im Hinterland von Luxemburg. Viele Leute aus Arlon haben im Großherzogtum Arbeit gefunden.

"Dutroux sollte man die Kugel geben"

"Dutroux sollte man die Kugel geben" - auch solche Stimmen hört man in den Kneipen der Stadt, in denen man mehr luxemburgisches als belgisches Bier trinkt. Doch die meisten Bürger sind einfach damit beschäftigt, eine angemessene Haltung zu finden angesichts des spektakulären Geschehens in ihrem Ort. Einige haben die Gelegenheit genutzt, zu schnellem Geld zu kommen und vermieten teuer ihre Privatquartiere.

Andere dagegen wollen an dem Prozess auf keinen Fall etwas verdienen. So bot die Wirtin des Hotels Lecu de Bourgogne den Eltern der Opfer für die Dauer des Prozesses kostenlose Unterkunft und Verpflegung an. Viele Ladeninhaber erinnern auf Bitten von Bürgerinitiativen an die Opfer. Sie haben Fotos der Mädchen an die Schaufenster geklebt, darunter den Text: "Die Welt ist ein gefährlicher Ort. Nicht nur, weil Menschen Böses tun. Sondern auch, weil es andere gibt, die sie gewähren lassen."

"Auf keinen Fall soll rund um den Prozess ein Zirkus stattfinden", sagt der Bürgermeister. Er hat nicht erlaubt, dass hinter dem Gerichtsgebäude Frittenbuden installiert werden. Andererseits soll das Leben in Arlon auch so normal wie möglich weitergehen. Der für Mitte März geplante Karnevalsumzug findet statt.

© SZ vom 1. März 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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