Ungeziefer:Das ganz große Krabbeln

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Die Küchenschaben kommen! In Damme im niedersächsischen Schweinegürtel sind sie schon da... Nun helfen nur noch Kakerlaken-Killer.

Von Ralf Wiegand

Am windschiefen Holzbalken hängt ein Wagenrad mit dem Ortsnamen. Ein uralter Brunnen tut so, als fördere er wie früher frisches Wasser aus dem Boden. Zwei Pferde weiden auf der Koppel hinter einer Biegung, und irgendwo am Horizont erheben sich ein Futtersilo und eine Backsteinhalle: der erste Schweinestall.

Hieße die Ortschaft nicht Oldorf und wäre kein Ortsteil von Damme, man könnte irgendwo in Oklahoma sein, wie es die große Erzählerin Annie Proulx beschreibt. "Mitten in Amerika" ist die Geschichte von Bob Dollar, der durch die Prärie zieht, um Land zu finden, auf dem Schweinemastbetriebe errichtet werden sollen.

Solche Anlagen sind nicht sehr beliebt, ein alter Farmer erklärt den Grund: "Schweinemästereien, das heißt große Mengen Tiere auf engstem Raum eingepfercht. Und ungesund ist es auch. Kopfschmerzen, Halsentzündung, Benommenheit. Bakterien und Viren."

Aber hier ist nicht Oklahoma, hier ist Damme im Landkreis Vechta, Niedersachsen. Sanfte Hügel kräuseln das grüne Land. Weit und breit ist kein Schwein zu sehen, obwohl laut Statistik des Jahres 2003 in dieser Gegend 885757 Stück gehalten werden. Leblos liegen die Mastbetriebe in der Landschaft, die man Niedersachsens Schweinegürtel nennt.

Fürs Image gäbe es schönere Namen. Und als reichten Güllegestank und Schweinepest nicht, hat Damme jetzt noch ein Problem: die orientalische Küchenschabe.

Verstecke ohne Ende

In Schweineställen, sagt Schädlingsexperte Jona Freise, 38, vom Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit mit der Begeisterung des Wissenschaftlers, "findet die Schabe ihr Entwicklungsoptimum".

Die feuchten Hallen sind ganzjährig auf 20 bis 31 Grad beheizt, es gibt Nahrung zuhauf, Verstecke ohne Ende. Die diskreten Tierchen lieben die Dunkelheit. Der Fachmann spricht düster von exponentiellem Wachstum: "Wenn man sie nicht bekämpft, explodiert eine Population in kurzer Zeit."

Genau das ist in Damme passiert.

Die erste Schabe wird irgendwann eingeschleppt worden sein, vielleicht hingen die Eier an der Verpackung einer Futterlieferung. Die gemeine Schabe stammt aus Afrika und ist immer gern gereist.

Es gibt gut 3500 bekannte Arten, darunter die amerikanische, die australische, die deutsche und eben die orientalische Schabe. Ihre Namen haben sie von Handelswegen vergangener Jahrhunderte: Der Schädling breitete sich per Schiff aus. Die deutsche Schabe überquerte einst mit den Auswanderern den Atlantik und landete so bestimmt auch in Oklahoma.

Wie viele Kakerlaken in und um Damme leben, lässt sich nicht sagen. 400.000 Nachkommen kann eine Schabe im Jahr haben, unter Laborbedingungen. "60.000 ist eine realistische Zahl", sagt Freise. Vor gut einem Jahr führten ihn Hinweise der Bevölkerung ans Gesundheitsamt erstmals nach Damme: Man hatte Kakerlaken bemerkt in Kellern, Garagen, Küchen, Ställen. "Es waren zu viele", sagt Freise.

Würden sie nicht bekämpft - die Kakerlake könnte den Menschen wahrscheinlich besiegen. Es ist eine apokalyptische Vorstellung, wie Schaben den einen Hof verlassen, wenn es ihnen dort zu eng wird, um den nächsten zu besiedeln; wie sie sich das Wohnhaus nebenan holen; vielleicht das Lager des Supermarktes; wie sie hinter den Putz von Kellerwänden kriechen, unter Dielen. Das Problem ist die Nähe von Wohnsiedlungen und Mastbetrieben.

Die Leute schämen sich

Dabei ist Damme auch mit Schaben ein ganz gewöhnliches Provinzstädtchen. Die Apotheke neben dem Dom wirbt im Schaufenster für Einschlafmittel und Hustensaft; der Supermarkt verkauft Sommerblumen und Spargelschäler, und die öffentlichen Bekanntmachungen der Rathausvitrine laden den Jahrgang 1987 zur Musterung. Keine Kakerlake.

Seit einer Woche ist Damme jetzt in den Schlagzeilen. Das macht es nicht einfacher, über das Problem zu sprechen. Jona Freise hat bemerkt: "Die Leute schämen sich, sie schämen sich ganz gewaltig." Und sie werden langsam wütend - vor allem die beschuldigten Schweinezüchter.

Seitdem die Behörden von einem "Vertrauensbruch" der Landwirte gesprochen haben, weil nicht alle letztes Jahr die besprochenen freiwilligen Maßnahmen umgesetzt hätten, wird der Ton aggressiver. Die Schädlingsbekämpfer wollten nur die Bauern abzocken, heißt es. Die Stadt tue zu wenig.

Nun muss sie etwas tun. Laut Infektionsschutzgesetz wird die Schädlingsbekämpfung behördlich angeordnet, denn Schaben sind nicht nur eklig, sie sind gefährlich.

75 Keime können sie übertragen, einige hat Freise auf seinen Forschungsreisen nach Damme festgestellt - zum Beispiel Erreger von Lungenentzündung in solcher Konzentration, "dass sie auch starke Männer umhauen können".

Ziel sei nun, die Wahrscheinlichkeit einer Begegnung von Mensch und Schabe aufs Minimum zu senken. "Schabenfrei", sagt Freise, "gibt es nicht."

Seit Mittwoch leiten die Kakerlaken-Killer mit Heißnebelkanonen Insektizide in die abgedichteten, leeren Ställe. Die Männer tragen Schutzanzüge, Atemmasken und Gummistiefel und sehen aus wie nach dem atomaren Ernstfall.

Damit die Schaben nicht flüchten, wird Sperrlack an Fenstern und Türschwellen aufgetragen. Hans-Rüdiger Röttgers, Leiter des Gesundheitsamtes Vechta, sagt, die Kooperation mit den Haushalten sei gut. "Jeder will die Insekten schnell loswerden. Sie sind hier anders als in einigen anderen Ländern wahrlich keine Delikatesse."

Aber nahrhaft sind sie, "Proteine, Proteine, Proteine", schwärmt Schabenfachmann Freise. Er hat schon mal eine genascht, in einem Pariser Insektenrestaurant. Sie schmecken nussig.

© SZ vom 3.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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