Ungewohnter Gast:Ein Wal bläst vor Bornholm

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In der Ostsee, fernab seiner gewöhnlichen Routen, ist ein gewaltiger Pottwal aufgetaucht. Dort droht er zu verenden.

Von Sabina Griffith

"Glauben Sie es oder auch nicht, ein Pottwal ist in die Ostsee geschwommen." Carl Kinze, Vorsitzender der dänischen Gesellschaft für Meeressäuger, ist völlig aus dem Häuschen, als er von der ungewöhnlichen Begegnung auf dem Wasser berichtet.

Normalerweise schwimmen Pottwale auf ihrer Wanderschaft von den Weidegründen im Nordpolarmeer über die Azoren in die Karibik. (Foto: Foto: AP)

Am 14. Juli hatten Segler den Hafen von Asaa am nördlichen Kattegatt angesteuert, als sie plötzlich die Fontäne eines blasenden Wals sahen, eines Pottwals. Drei Tage später wurde er erneut gesichtet, am Taarbaeksund vor Kopenhagen. Die Spur verliert sich in den Gewässern nordöstlich Bornholms, wo der Wal am 23. Juli zuletzt gesichtet wurde.

Er müsste schon in der Karibik sein

Es wäre nicht das erste Mal, dass sich ein Pottwal in die Ostsee verirrt. Im Dezember 1997 war ein 14,45 Meter langes Männchen vor der dänischen Insel Rømø gestrandet. Sein Skelett ist heute die Attraktion des Meeresmuseums in Stralsund. Die Chancen, dass der Wal den Ausflug in die Ostsee überlebt, stehen nicht gut.

"Der Wal wird stranden, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche", prophezeit Pottwal-Spezialistin Andrea Steffen. Sie ist eigentlich Steuerberaterin, doch ihre Freizeit verbringt sie am liebsten im tiefblauen Wasser des Karibischen Meeres, dem Paarungs-Pool der Pottwale. Im Herbst erschien ihr Buch "Pottwale im dunklen Blau des Meers".

"Der Wal wird vermutlich verhungern oder in der flachen Ostsee überhitzen", sagt Steffen. Pottwale sind Zahnwale und gelten als größte bezahnte Tiere dieses Planeten. Über das Tauchverhalten der Meeresriesen, die ausgewachsen bis zu 50 Tonnen wiegen, weiß man wenig. Nur so viel ist klar: Sie können sehr tief tauchen. Mittels Sonar wurde ein Pottwal in 2500 Metern Tiefe geortet.

Leibgericht: Riesentintenfische.

In der ewigen Dunkelheit der Abyss sucht der Pottwal nach seiner Lieblingsspeise: dem Riesenkalmar, gigantischen Tintenfischen. Nach Tintenfischen wird sich der Pottwal in der Ostsee vergeblich umsehen. Eine echte Überlebenschance wird er laut Andrea Steffen nur haben, "wenn er sich vor seinem Abstecher den Bauch noch einmal ordentlich voll gehauen hat."

Doch selbst dann sei es eher unwahrscheinlich, dass er den Weg aus dem flachen Schelfmeer hinaus in die Nordsee und den Atlantik findet. "Wir schätzen, dass es sich um ein krankes Männchen handelt, das den Anschluss an die Gruppe verloren hat", sagt Steffen. Normalerweise haben Pottwale auf ihrer Wanderschaft von den Weidegründen im Nordpolarmeer gen Süden jetzt bereits die Azoren hinter sich und sind unterwegs in die Karibik.

Man kann ihm nicht helfen

Die Vermutung der Tierschutzorganisation "Meer" sowie der "Gesellschaft zur Rettung der Delfine", dass der Wal in der Ostsee ein Opfer des steigenden Lärmpegels im Meer sein könnte, will Steffen nicht unbedingt teilen, auch wenn die Lärmverschmutzung der Meere ein Problem sei. Verirrte Wale und Strandungen habe es auch schon in Zeiten gegeben, als die Unterwasserbeschallung noch nicht so stark war.

Wege, das Tier aus der Sackgasse zu befreien, gibt es offenbar nicht. "Wir können ihn schlecht an den Haken nehmen", sagt Steffen. Bleibt zu hoffen, dass der Wal rechtzeitig den Ausgang findet. Der Platz im Museum jedenfalls ist belegt.

© SZ vom 6.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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