Ungewöhnlicher Aufstieg:Tanz den Fango

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Mit "Wolke 4" via Soundcloud zum Star: Philipp Dittberner. (Foto: Sven Sindt, oh)

Philipp Dittberner ist Physiotherapeut, eigentlich. Dann lud er seine Musik im Internet hoch, und sein Aufstieg an die Spitze der Charts begann.

Von Martin Schneider, Berlin

Als Philipp Dittberner zum ersten Mal seinen eigenen Hit hörte, roch er nach Desinfektionsmittel. Es war abends, er war der Letzte in der Praxis für Physiotherapie, wo er damals arbeitete, und er musste noch die Liegen abwischen. Er schloss dann ab, ging raus auf die Straße, sah auf seinem Handy, dass sein Kollege DJ Marv, mit dem er seit einiger Zeit nachts Musik machte, ihm ein fertiges Lied per Mail geschickt hatte. Er stöpselte sich die Kopfhörer ins Ohr und dachte: "Ja, könnte was werden."

Den Song, den er hörte, das war "Wolke 4", der Hit, der den gelernten Physiotherapeuten in Deutschland in die Spitze der Charts gebracht hat. Auf Platz sieben landete der Song, das Album "2:33" kam auf Platz zwölf, gerade ist die erste große Tour des Berliners zu Ende gegangen. In Neukölln sitzt er in einem Café mit Holzmöbeln und bestellt sich einen Teller Käsespätzle, der fast größer ist als der Tisch, auf dem er steht. "Wenn man auf Tour ist und zurückkommt, dann ist der Kühlschrank leer. Ich hatte nur noch Schweizer Schokolade, die sie mir in Zürich geschenkt haben", sagt er und haut rein. Er spricht ein bisschen, wie er singt, mit einem melancholischen Unterton in jedem Satz.

Dittberner hat eine Karriere aus dem Wie-Musikerkarrieren-sein-sollten-Ratgeber hinter sich. Er wohnte vor zwei Jahren noch in seiner Einzimmerwohnung in Berlin, winzige Küche, noch winzigeres Bad. Er wollte Medizin studieren, hatte aber ein zu schlechtes Abi dafür. ("Es ist in Deutschland einfacher, in die Charts zu kommen, als einen Medizinstudienplatz zu kriegen.") Also arbeitete er als Physio, was ihm anfangs Spaß machte, irgendwann aber frustrierte. "Man hat teilweise nur 30 Minuten mit den Patienten. Wie soll ich da wem helfen?" Aber er hatte seine Gitarre und spielte nachts Sachen für sich selbst, schrieb sie auf, und packte sie dann in seine Schublade, um sie nicht wieder rauszuholen. Als er die Schublade dann doch mal öffnete und die Sachen einer Freundin vorspielte, meinte die, es sei doch egoistisch, die Lieder verschlossen zu lassen.

Dittberner lud die Sachen bei Soundcloud hoch, einer Musik-Plattform im Internet, auf der sich viele treffen, die von Musik etwas verstehen. DJ Marv aus Hannover fand die Gitarren-Tracks und schrieb ihm: "Ich finde den Kram cool. Wollen wir was zusammen machen?" So in etwa. Die beiden machten Musik über Skype, Dittberner nennt es eine musikalische Fernbeziehung.

"Wir luden dann unsere Tracks weiter bei Soundcloud hoch, schon in der Hoffnung, dass einer der großen Channels sie entdecken würde." Die großen "Channels", das sind Youtube-Kanäle mit Hunderttausenden Abonnenten, die ihre Nutzer mit dem Neuesten aus Soundcloud versorgen. Irgendwann passierte das, und Dittberner sagt: "Du sitzt vorm Computer und siehst: 100 000 Klicks. Wahnsinn." Wenn die Channels aufmerksam geworden sind, sind die Plattenfirmen dran, eine gewinnt dann den Kampf um den jungen Künstler, in diesem Fall die Firma von Herbert Grönemeyer. So funktioniert eine Musikkarriere über das Internet.

Dittberner komponiert und textet selbst. Wie? Kann er nicht genau erklären. Es gibt Tage, da sind Ideen da, es gibt Tage, da geht gar nichts. "Wolke 4" hat er in 20 Minuten fertig bekommen. Auf der Gitarre gespielt und "drübergesungen", wie er es nennt. So einfach? "Die kürzesten Ideen sind manchmal die besten", sagt er. Warum ist gerade dieses Lied so erfolgreich? "Lass uns die Wolke vier bitte nie mehr verlassen/Weil wir auf Wolke sieben viel zu viel verpassen", heißt es im Refrain. "Es ist ein Liebeslied, aber kein normales", sagt Philipp Dittberner. "Ich glaube, viele Menschen können sich mit der Botschaft identifizieren, dass in einer Beziehung nicht ständig alles perfekt laufen kann." Normalerweise, erzählt er immer noch beim Spätzlefuttern, seien Liebeslieder ja hauptsächlich so: "Ich liebe dich über alles" oder "Verlass mich nie mehr". Das, findet Dittberner, sei "ein Stück weit unrealistisch."

Als Physiotherapeut arbeitet er schon längst nicht mehr. Er hat damals gekündigt, will jetzt nur noch Musik machen. Auch in seiner alten Wohnung lebt er nicht mehr, er ist jetzt ein Stockwerk höher gezogen. Die nächste Bühnen-Tour startet erst im März. Nur die Tour durchs Internet, die geht immer weiter. "Wolke 4" hat bei Youtube mittlerweile mehr als 20 Millionen Klicks.

© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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