Überquerung des Ärmelkanals:Der unerbittliche Sog der Siemsiebzehn

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Christof Wandratsch ist losgeschwommen im Morgengrauen, hinter sich ein Jahr Training, vor sich 33 Kilometer Quallensuppe, Tanker, Strömungen und das Ziel, sieben Stunden siebzehn Minuten zu unterbieten.

(SZ vom 30./31.08.2003) Folkestone, im August - Noch 40 Minuten hat er. 40 Minuten bis Cap Gris Nez. Man kann schon die Leute sehen, die am Leuchtturm stehen und hierher schauen, auf das kleine rote Boot und die schwarze Bademütze an dessen Seite. Noch so ein Verrückter, der aus England rübergeschwommen kommt. "Sieht so nah aus, dieses Frankreich, so nah", sagt der Trainer Stefan Hetzer leise. Dann schreit er ins Wasser runter: "Es geht. Du kannst es noch schaffen. Es geht." Christof Wandratsch krault noch ein bisschen schneller als bisher und ruft beim Luftholen stimmbrüchig "Uhrzeit! Uhrzeit!" Hetzer sagt sie ihm nicht.

Der deutsche Langstreckenschwimmer Christof Wandratsch kraulte sich zum letzen Mal durch den Ärmelkanal. (Foto: Foto: dpa)

Der Weltrekord ist das Ziel

Wandratsch ist losgeschwommen im Morgengrauen, hinter sich ein Jahr Training, vor sich 33 Kilometer Quallensuppe, Tanker, Strömungen und das Ziel, die sieben Stunden siebzehn Minuten des Amerikaners Chad Hundeby zu unterbieten. "Siemsiebzehn" sagen er und Hetzer nur, eine magische Zahl, seit 1994 steht der Weltrekord im Soloschwimmen, um ihn zu brechen, hat Wandratsch monatelang auf jedes seiner Frühstücksbrote dick Butter, Erdnussbutter und Nutella geschmiert und solange Nüsse und Öl gegessen, bis er kaum noch in seine Klamotten passte: Ohne Fettreserven kommt keiner durch, das Fett ist der Rettungsring im Ärmelkanal.

Herausforderungen für Extremschwimmer

Sie nennen ihn den Mount Everest des Schwimmens. Vom mythischen Klang her ist der Vergleich berechtigt. Man kann als Extremschwimmer das Sechstageschwimmen von Messina mitmachen: vier Stunden Schwimmen, neun Stunden Pause, sechs Tage am Stück. Man kann den argentinischen Parana runterschwimmen, 88 Kilometer, wo einem hundertfünfzigtausend Fans zujubeln, die bis zum Bauch im Wasser stehen. Hundertfünfzigtausend, "das ist das Alpe d'Huez der Extremschwimmer", sagt Wandratsch. Er war Weltcupsieger und Europameister und hat große Rennen gewonnen. Aber Weltrekord im Ärmelkanal, "das wär was fürs Geschichtsbuch".

Ins Wasser kotzen

Schon seltsam, dass es so unvergleichlich toll sein soll, ausgerechnet durch diese Meerenge zu schwimmen: Der Horizont sieht aus wie am D-Day, Containerschiffe, Öltanker, Luftkissenboote, eins neben dem anderen. Nicht ab und zu, sondern permanent, der Ärmelkanal ist die meistbefahrene Meeresstrecke der Welt. Es gibt Feuerquallen, Algenfelder und viel Müll, an Wandratsch treiben Flaschen, Tüten und eine Euro-Palette vorbei, die ihn nur knapp verfehlt. Es gibt das Salzwasser, das einen dazu zwingt, zu kotzen, wenn man es schluckt. Wandratsch musste sich dreimal übergeben.

Außerdem ist es kalt: Wasser leitet die Temperatur 25 mal so gut ab wie Luft, die Wärme fließt aus einem heraus wie Wasser aus einer löchrigen Tüte.

Zwischendurch Asperin schlucken

Am Morgen strömten die Stunden so ruhig dahin wie der Golfstrom im weiten Atlantik, rhythmisiert nur durch den sekundengenauen Ernährungsplan: Alle Viertel Stunde reichte Hetzer Wandratsch an einer Stange einen Becher rosa Kohlehydratbrühe; jede Stunde ein Power-Gel, alle zwei Stunden eine Aspirin zur Vorbeugung gegen die Schmerzen, die im Kanal so sicher kommen wie die Kälte. Zwischendurch schrieb Hetzer Sprüche auf Tafeln, die er an der Bordwand herabließ: "Du schaffst es!" "Quäl Dich!" "Frequenz 82."

Jetzt aber, wo die Küste so nah ist, werden die Minuten weggesaugt wie das Wasser in der dünnen Röhre zwischen Calais und Dover: Acht Kilometer schnell können die Strömungen hier werden und einen davonspülen wie einen Korken, einfach vorbei an dem Leuchtturm, den das Boot anpeilt. Hetzer wurde in der letzten Stunde immer stiller. Ein schlechtes Zeichen: Hetzer redet sonst für zwei. "Wundobor", hat er vor den Klippen von Dover in seinem Extremsächsisch gesagt, "schauma mal, was geht, Orobaregord, Weltregord, wir wern sehn." Der Mann wirkt ohnehin immer wie eine lebende Duracellbatterie; an diesem Tag könnte man mit ihm ein Notstromaggregat betreiben.

Gleichmäßiges Gleiten

Wandratsch hält immer noch seine Frequenz von 82 Schlägen pro Minute. Andere Schwimmer dreschen aufs Wasser ein, als wollten sie den Kanal verprügeln oder strampeln nach ein paar Stunden nur noch matt durchs Wasser, Wandratsch gleitet selbst nach knapp sieben Stunden noch elegant an der Oberfläche entlang. Aber irgendwo auf dem weiten Weg hat er ein paar Minuten verloren. Er schwimmt dicht am Bootsrumpf. Drei Kraulzüge, ein Atemzug. Wenn er beim Luftholen hochschaut, möchte man jetzt nicht unbedingt diskutieren mit ihm: Er weiß um seinen hauchdünnen Rückstand auf Hundebys Rekord und hat etwas Kannibalisches im Blick.

An Land ist Wandratsch Vollblutphlegmatiker. In der Woche zuvor, in der er auf seine Chance wartete, auf einen Tag, an dem alles stimmt, das Wetter, die Tide, der Wind, lag der Kanal meist still glitzernd im Sonnenlicht, auf der anderen Seite sah man tagsüber die Silhouette von Calais und die sanft gewellte Küste der Normandie. Wandratsch stand oft an den weißen Klippenfelsen bei Folkestone, wühlte mit den Händen in seinen Hosentaschen und sagte einen seiner kurzen, fränkisch dunklen Sätze: "Passt schon." Oder: "Salzwasser is' wurscht." Die knappe Syntax passt gut zu seinem Ruhepuls von 40.

Neben ihm steht der zappelige Hetzer, dessen energetische Körpersprache an Louis de Funès erinnert. Bei dem Mann gibt es eine Art psychisches Hyperventilieren. "Morgen letztes Training, raus, fertig, Wettkampf." All das sagt er händereibend und fidel, immer gut druff, wie er mantraartig wiederholt. "Nujo, in sieben Stunden wollma drüben sein. Sieben Stunden, ganz normaler Arbeitstag", sagt er mit seinem heiseren Kichern.

Mit Fettpolstern durch den Kanal

Zum normalen Arbeitstag eines Kanalschwimmers gehört in den Wochen der Vorbereitung das vormittägliche Treffen am Hafenbecken von Dover. Von Mitte Mai an, wenn die Saison bei neun Grad kaltem Wasser eröffnet wird, treffen sich die Schwimmer hier, kraulen ein paar Kilometer durch den Fährhafen, tauschen Wetterorakeleien und Ernährungstipps aus: "Rosinen? Nein, ich nehm Bananen. Und schwarzen Tee." Waschbrettbäuche gibt es hier nicht, die Kanalschwimmer sind mit ihren Fettpolstern auf den ersten Blick kaum von den Passanten auf der Uferpromenade zu unterscheiden. Mit Weltrekorden haben sie alle nichts am Hut. Für sie wäre es eine Art persönlicher Weltrekord, wenn sie einfach nur rüberkommen. Die meisten brauchen über zwölf Stunden, in denen die Gezeiten sie herumtreiben wie eine ankerlose Boje und aus den 33 Kilometern Luftlinie eine doppelt so lange S-Kurve machen.

Jahrelang kein Ankommen

Drei Tage vor dem Versuch zieht Wandratsch im Hafen seine Bahnen. Am Ufer steht Chris Gibbs, ein Bassist aus Barbados, ein unglaublich cooler Typ mit einem karibisch schönen Lächeln, der seit seinem vierzehnten Lebensjahr vom Ärmelkanal träumt. Inzwischen ist er 59, und er wäre glücklich, wenn er in 14 Stunden rüberkommt.

Außerdem ist Armin Wunder da, ein knuffiger kleiner Erziehungswissenschaftler, der vor zwei Tagen aus Karlsruhe angereist ist. Wunder gibt es immer wieder, der Mann ist eine Art Trauma für die Channel Swimming Association, seit elf Jahren will er durch den Kanal, beim ersten Mal war es so kalt, dass er im Wasser kein Wasser lassen konnte und nach fünfeinhalb Stunden aufgeben musste. Einmal ging das Begleitboot kaputt, die anderen Male war das Wetter zu schlecht, um loszuschwimmen. Eigentlich müsste er an seiner Doktorarbeit sitzen, "aber mit dem Kanal im Kopf kommst du zu nichts anderem". Wunder hat sich im Lauf der Jahre von 60 auf 85 Kilo hochgefuttert, früher hat er das Gewicht immer wieder runtergehungert, aber inzwischen lässt er es bleiben: "Wozu, ich komm ja doch bald wieder." Als er das sagt, kommt sein Pilot, zieht den Wetterbericht aus der Tasche, sagt: "Armin, es tut mir so leid", und erklärt, warum es auch diesmal nichts wird: Gegenwind, ein Tief über Island.

Wettschwimmen bis zum Tod

Den Mount Everest besteigen täglich mehrere Leute, wenn es sein muss, ziehen einen die Sherpas hoch. Den Kanal muss man alleine durchschwimmen; wer während seines Versuches auch nur einmal berührt wird, muss aus dem Wasser. Pro Jahr schaffen es etwa 50 Schwimmer, ebensoviele scheitern. Einige sind gestorben, an Entkräftung, Unterkühlung, oder weil sie meinten, ohne Begleitboot durchzukommen. Einige Tage nach Wandratschs Versuch wird ein Begleitboot nachts einen Schwimmer aus den Augen verlieren. Der Mann wird 20 Stunden lang durch Finsternis, Kälte und Wellen treiben, bis ihn die französische Küstenwache aus dem Wasser fischt.

Als der britische Captain Matthew Webb am 24. August 1875 als erster Mensch ohne Hilfsmittel in knapp 22Stunden durchkam, schrieb die Times, durch diese Kanalüberquerung seien die heroischen Taten des Ajax und Herkules in den Schatten gestellt worden. Webb selbst war davon überzeugt, dass dieses Heldenstück keinem anderen Menschen je gelingen werde.

Aufpasser im Boot

Inzwischen gibt es jedes Jahr einen oder zwei, die es prickelnd finden, den Kanal nonstop hin und zurück zu durchschwimmen. Drei Schwimmer verspürten sogar den Drang in sich, den Weg dreimal zurückzulegen. Als der Neuseeländer Philip Rush 1987 nach der ersten Dreifachüberquerung und 38 Stunden an Land krabbelte, hatte er eine Körpertemperatur von 31 Grad. "The channel is the beast", sagt Michael Read, der sich als King of the Channel bezeichnet.

32 mal hat er den Kanal bezwungen, er ist Christof Wandratschs Observer auf dem Begleitboot, derjenige, der schaut, dass bei diesem Versuch alles nach den Gesetzen abläuft, die die Channel Swimming Association 1927 aufgestellt hat: Als Hilfsmittel sind nur eine Bademütze und eine Schwimmbrille erlaubt; es gibt ein Bild von Webb in Jungsiegfried-Pose, er trägt den rotseidenen Badeanzug seiner Überquerung, der die Kleiderordnung bis heute bestimmt: Arme und Beine müssen frei sein, Thermoanzüge sind verboten. Erlaubt ist hingegen ein "Hase", ein anderer Schwimmer, der jede zweite Stunde Führungsarbeit leistet. Wandratschs Freund Diego Degano schmeißt sich alle zwei Stunden in die Wellen und krault voran. Diese Stunden seien "nur wie Rumbaden", sagte Wandratsch vor dem Versuch, der "Slipstream" helfe einem Schwimmer so viel wie der Windschatten eines Wasserträgers den Stars bei der Tour de France.

Schwimmen als Liebesakt

Mike Read, der mit seinem zierlich verschmitzten Antiquitätenhändlergesicht über der wuchtigen Wampe an eine missglückte Mischung aus Balu der Bär und Burt Lancaster erinnert, schaut Wandratsch und Hetzer mit fast schon feindseliger Distanz bei ihrem Versuch zu. Read sagt, er habe sich bei all seinen Durchquerungen vorgestellt, er wolle seine Erwählte durch die Fluten tragen, das Schwimmen sei eine Art Liebesakt gewesen, schmerzlich schön. Auch wenn das alles wie auswendig gelernt wirkt: Das akkurate Produzieren eines Weltrekordes mit sekundengenauem "Feeding", Tafelbeschreiben und Trillerpfeifenbefehlen geht gegen seine Vorstellung vom Kanalschwimmen. Churchill hat gesagt, der Kanal sei keine Wasserstraße, sondern eine Weltanschauung. Der Satz könnte auch von Read sein. "The channel is a woman", sagt er. "Der Kanal ist 33 Kilometer breit", sagt Stefan Hetzer.

Abtrainieren, sonst verfault das Herz

"Mount Everest", sagt Hetzer, "dieses mystische Zeug, alles Quatsch, da muss man nüchtern rangehen." Nüchtern wie ein Alka Seltzer ist Hetzer rangegangen, hat die amorphe Zeitmasse eines Jahres auf Millimeterpapier übertragen und einen minutiösen Trainingsplan ausgetüftelt, nur auf diesen Tag zu. Der Weltrekord soll der krönende Abschluss von Wandratschs Karriere sein, Hetzer hat auch schon den Plan für danach ausgearbeitet. Vier Jahre muss der 37-jährige Extremsportler abtrainieren, jedes Jahr 20 Prozent weniger. "Wenn du nicht abtrainierst, verfault das Herz", sagt Hetzer.

Hetzer selbst durfte nicht abtrainieren, für ihn war von einem Tag auf den anderen Schluss: Er war mal der Größte. 1988 hat er Kristin Otto zu ihren sechs Goldmedaillen in Seoul gebracht. Seine DDR-Schwimmer haben Rekorde und Titel am laufenden Band geholt. Die Rekorde habe er "produziert", sagt er. Nach der Wende wurde er verurteilt wegen Medikamentenabgabe an Minderjährige. Heute ist er stellvertretender Leiter der Schauspielakademie von Burghausen, wo er Akrobatik unterrichtet. Wandratsch trainiert er nebenher, ohne einen Pfennig Geld dafür zu bekommen. "Es muss doch mal Schluss ein", sagt er am Kanal immer wieder. "Irgendwann muss man doch eine zweite Chance bekommen." Er wittert in diesem Rekordversuch seine zweite Chance: Endlich könnte er zeigen, "dass ich es auch ohne Pillen schaffe, der Schnellste zu sein".

Einbruch nach vier Stunden

Nach drei Stunden liegt Wandratsch gleich auf mit Hundebys Rekord und hält den schnurgeraden Kurs in Richtung Küstenstrand. Er krault, trinkt, isst, krault - und dann bricht er in der fünften Stunde, ausgerechnet beim "Rumbaden" mit Diego Degano, plötzlich ein: Mehrmals lässt er abreißen, Degano krault ihm davon, "langsamer", blubbert Wandratsch, "langsamer!". Hetzer schreibt "Jetzt beginnt der Kampf" auf die Tafel. Wandratsch schreit wütend: "Boah Scheiße." "Ich würd im Kanal ja nicht soviel diskutieren" sagt Read mit seiner stiff upper lip. Es gefällt ihm, dass dieser Versuch nicht mehr wie ein Uhrwerk funktioniert. Während Wandratsch stimmbrüchig "Schmerztablette" japst, rezitiert Read, fröhlich wie ein reifer Apfel, schnurrige Gedichte, die ihn angeblich bei all seinen Überquerungen bei Laune hielten: "I am the ruler of the sea, The ruler of the Queens navy..."

Apropos Queen: Der King of the channel verschweigt gerne, dass es ja noch die Queen of the channel gibt, Alison Streeter, eine Londoner Brokerin, die 39-mal rübergeschwommen ist.

Das traurigste Naja

Wandratsch bleiben noch drei Minuten. Es ist unglaublich, wie er sich nach seinem Einbruch wieder freigeschwommen hat. Die runden Felsen von Cap Gris Nez sind jetzt so nah, als könnte man Steine dorthin werfen. Zwei dicke Möwen schauen dem verzweifelt aufgeregten Hetzer bei seinen Anfeuerungsversuchen zu. Selbst Mike Read hat jetzt nichts mehr vom distanzierten Beobachter, es geht um hundert Meter oder weniger. Das Boot muss stehen bleiben, das Wasser wird zu seicht, Wandratsch zieht alleine davon. "Das wird eine Minute drüber", murmelt Stefan Hetzer. "Naja." Ein traurigeres Naja war nie. Dann verschwindet Wandratsch in den Felsen. Sieben Stunden 19 Minuten 48 Sekunden. Die zweitschnellste Überquerung aller Zeiten. Was sind schon zwei Minuten? Nicht mal ein Ei kann man in zwei Minuten kochen.

Ein Jahr Training, täglich acht Stunden Schwimmen, Laufen, Rudern, Radfahren und immer wieder Schwimmen, zuletzt täglich durch den kalten Königssee, und dann fehlen zwei Minuten. "Nujo, kommen wir nächstes Jahr eben wieder", sagt Hetzer und tut so, als ob er es im Spaß meint.

Angekommen, aber das Ziel nicht erreicht

Als Wandratsch wieder an Bord kommt, wirkt er schnell relativ gelassen. Das war's, nie mehr Kanal, Europarekord, immerhin. Mike Read, jetzt wieder in seiner Rolle als King of the channel und lebendes Kanalenzyklopädikum, erzählt von tragischen Abbrüchen und deren Folgen: Die Schwimmer, die so lang auf ihren Versuch hingelebt haben, wollen oft selbst nach 24 Stunden nicht aufgeben. Wenn sie dann, verkühlt, unterzuckert, erschlagen, von ihren Piloten oder Observern an Bord geholt werden, erleben sie das als "totale Niederlage". Viele schlagen sich monatelang mit einer postkanalen Depression herum. "Christof kommt wieder," sagt Read. "The channel is the beast, der lässt einen nicht so einfach los. Sie kommen alle wieder."

Am Tag danach das Große Fressen

Varne Ridge ist das Basislager der Kanalverrückten, ein Campingplatz an den Klippen. Hier wohnen sie alle, Wandratsch, Hetzer, Diego Degano, der Bassist aus Barbados. Am Tag danach gibt es hier ein typisch englisches Barbecue: viel Bier, viel Wind und Berge von verkohltem Fleisch. Chris Gibbs strahlt sein karibisches Sommerlächeln, er hat es geschafft in zwölf Stunden. Die Nacht danach hat er nicht geschlafen vor Schmerzen, sein ganzer Körper ist ein Krisengebiet: "Es ist als hätte mich Muhammad Ali einen ganzen Tag lang vermöbelt. Aber hey, am Ende habe ich gewonnen." Und dann war noch Stéfane Lecat auf dem Barbecue, ein anderer großer Extremschwimmer. Er war gerade angereist, um seinerseits den Weltrekord einzustellen. "Oder wenigstens deinen lahmen Europarekord", frotzelt er Wandratsch an.

Dann fragt er Wandratsch, ob der seinen Hasen machen wolle. Man stelle sich vor, Jan Ullrich fragt Lance Armstrong, ob der sein Wasserträger sein wolle, schließlich müsse er dessen Rekord einstellen. "Klar", sagt Wandratsch. Es wurde nichts daraus, Wandratsch musste abreisen, aber er hätte es gemacht. "Wieso?", fragt er, als er den konsterniert dreinblickenden Journalisten sieht. "Lecat und ich sind Freunde."

Stéfane Lecat brauchte übrigens über acht Stunden, die Strömung trieb ihn ab. Armin Wunder kommt im September für seinen dreizehnten Versuch nach Dover. Und Mike Read sollte Recht behalten: Bei Bier und Kokelwürstchen fragte Wandratsch seinen Piloten Reg Brickell, ob der ihn nächstes Jahr wieder begleiten wolle.

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