Überlingen-Prozess:"Keine Gedanken gemacht"

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Der Fluglotse pausierte, als bei Überlingen eine Passagiermaschine abstürzte. Bei seiner Vernehmung sah er seinen getöteten Kollegen in der alleinigen Verantwortung.

Der während des Flugzeugunglücks von Überlingen pausierende zweite Lotse der Flugsicherung Skyguide ist sich keiner Mitschuld bewusst. Sein allein am Radar sitzender Kollege habe ihn, wie nachts üblich, in den Pausenraum geschickt, sagte der Flugverkehrsleiter am Freitag vor dem Strafgericht im schweizerischen Bülach bei Zürich.

Flugzeugtrümmer am Bodensee (Foto: Foto: Reuters)

"Wenn er nicht sicher geklungen hätte, wäre ich geblieben." Er fühle sich nicht schuldig. Mit der Aussage des Lotsen beendete das Gericht die Befragung der insgesamt acht Angeklagten.

Der Staatsanwalt sagte, mit einer Zwei-Mann-Besetzung wäre das Unglück "mit Sicherheit vermieden worden". Er wirft den Skyguide-Mitarbeitern mehrfache fahrlässige Tötung vor. Die Schweizer Flugsicherung ist auch für Teile des süddeutschen Luftraums zuständig. Bei der Kollision einer russischen Passagiermaschine und eines Frachtflugzeugs der DHL waren am 1. Juli 2002 alle 71 Insassen getötet worden.

Der Fluglotse beschrieb vor Gericht die Situation in der Nacht als gewöhnlich. Über Dauer und Umfang angekündigter Wartungsarbeiten habe er sich "keine Gedanken gemacht". Dies sei allein Aufgabe seines Kollegen gewesen.

Auf die Frage des Richters, wie er ohne das Wissen im Notfall einspringen wollte, sagte er: "Das habe ich mir eigentlich nicht vorgestellt." Auch für den Gang auf die Toilette habe man den Kollegen nicht aus der Nachtruhe geholt. "Wenn kein Verkehr war, konnte man schnell für zwei bis drei Minuten auf die Toilette", berichtete er. Der Angeklagte arbeitet bis heute als Flugverkehrsleiter und Ausbilder bei Skyguide.

Zuvor hatten sich bereits sechs der Angeklagten für nicht schuldig erklärt, einer hat geschwiegen. Sie machten den Lotsen am Radar für das Geschehene verantwortlich. Dieser habe Arbeitsweise und Flughöhe der Maschinen selbst festgelegt. Der 36-jährige dänische Unglücks- Lotse war 2004 von einem Hinterbliebenen erstochen worden.

Der Mann hatte zum Zeitpunkt des Unglücks neben den Überflügen eine verspätete Maschine beim Anflug auf Friedrichshafen am Bodensee zu betreuen und arbeitete an zwei Radarschirmen. Wegen technischer Arbeiten waren Hauptradar und Haupttelefon eingeschränkt oder gar nicht verfügbar. Nach dem Unglück hatte die Schweizer Flugaufsicht den Ein-Mann-Betrieb untersagt. Der bis Ende Mai dauernde Prozess soll am Montag (21. Mai) mit dem Bericht eines Sachverständigen fortgesetzt werden. Ein Termin für die Urteilsverkündung steht noch nicht fest.

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