Tsunami:Die Vergessenen der Welle

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In Kenia und Tansania wurden die Menschen rechtzeitig gewarnt - in Somalia traf die Welle die Menschen völlig unvorbereitet. Jetzt warten über 50.000 Opfer des Tsunami auf Hilfe. Die nicht kommt.

Von Michael Bitala

Samuel Njoroge war 20 Jahre alt, als er zum ersten Mal an die Küste fuhr. Er wollte seinen Onkel besuchen, und vielleicht, so war seine Überlegung, würde er dort nicht nur einen neuen Job als Automechaniker finden, vielleicht würde er endlich auch Schwimmen lernen. In seiner Heimatstadt Nairobi hatte ihm das keiner beigebracht, wozu auch? Es gibt rund um die Hauptstadt keinen Ozean und keinen Badesee.

Von der Flutwelle beschädigte Häuser im Norden Somalias. (Foto: Foto: dpa)

Aufgeregt war Njoroge, so aufgeregt, dass er die Nacht vor der Abreise nicht schlafen konnte. Als er endlich angekommen war im Badeort Malindi, als er das Weihnachtsfest mit seiner Verwandtschaft gefeiert und dabei immer wieder vom Schwimmen gesprochen hatte, stieg er endlich mit seinem Onkel in das spiegelglatte Meer.

Es war der 26. Dezember und es war Mittag. Kurze Zeit später war Njoroge tot, ertrunken in plötzlich auftauchenden, mächtigen Wellen. Wellen, die bereits Stunden unterwegs waren, bevor sie den Jungen, der das Schwimmen lernen wollte, mit sich rissen.

Der Tote mit der Nummer 1

Der Tod von Samuel Njoroge ist mit einer 1 gekennzeichnet. 1 Toter in Kenia. So steht es in der internationalen Opferstatistik der Tsunami-Katastrophe. Und wenn bislang überhaupt jemand wahrgenommen hat, dass das Seebeben vor der Küste Indonesiens auch Menschen in Afrika getötet hat, dann eher aus der beklemmenden Tatsache heraus, dass die Wellen rund 5000 Kilometer vom Epizentrum entfernt noch verheerend wirken konnten.

Neben dem ertrunkenen Njoroge werden auch die zehn Opfer in Tansania, zumeist Kinder, vermeldet. Und dann gibt es noch die Toten in Somalia. "Mehr als hundert Menschen" seien gestorben, hieß es zunächst.

Heute, fast zwei Wochen nach dem Seebeben, steht fest, dass weit mehr Menschen in Somalia ums Leben gekommen sind. Die Zahl liegt nun bei 298, die meisten Opfer waren Fischer und ihre Familien. Nach UN-Angaben benötigen mehr als 54.000 Menschen sofort Hilfe. Ganze Dörfer stehen noch unter Wasser, weil sie tiefer als der Meeresspiegel liegen.

Warnung von den Seychellen

Natürlich sind die Todeszahlen und Schäden in Afrika mit denen in Asien nicht zu vergleichen. Dennoch fällt auf, dass gerade die Angaben aus Somalia lange nicht überprüft werden konnten und von vielen zunächst auch nicht geglaubt wurden.

Warum sollten die Ausläufer des Tsunami dort so verheerend gewesen sein? Die restliche Ostküste Afrikas kam doch auch relativ glimpflich davon.

Zum einen liegt es daran, dass die Wellen erst sieben Stunden nach dem Seebeben Afrika erreichten und sowohl die kenianische als auch die tansanische Regierung frühzeitig Informationen von den Seychellen erhielten. Sie warnten daraufhin über Radio und Fernsehen die Bevölkerung und ließen Strände sperren. In Somalia gab es keine solchen Hinweise.

Wegen der vielen Milizen haben sich nicht nur die meisten Hilfsorganisationen aus dem Bürgerkriegsland zurückgezogen, auch die gerade gewählte Regierung traut sich nicht nach Mogadischu. Sie sitzt in Nairobi, und von dort wirkten ihre Angaben - "mehr als hundert Tote, wir brauchen sofort viele Millionen Dollar Hilfe" - nicht besonders glaubwürdig.

Der seltsame Hilfseinsatz der Bundeswehr

Da die Straßen durch den Krieg beschädigt sind, dauerte es Tage, bis ein UN-Team ins überschwemmte Gebiet gelangte. Auch jetzt noch hat das Welternährungsprogamm massive Schwierigkeiten, Hilfsgüter zu liefern.

Umso verwunderlicher mutet da ein Einsatz der deutschen Marine an, die im benachbarten Dschibuti stationiert ist. Vergangene Woche erhielt sie die Bitte der somalischen Regierung in Nairobi, sieben Fischer zu versorgen, die von der Außenwelt abgeschnitten seien.

Eine Hubschrauberbesatzung brachte Wasser und Lebensmittel dorthin und stellte fest, dass es sich nicht um sieben, sondern um 25 Menschen handelt und dass die Flut sehr große Gebiete zerstört hatte. "Der Hubschrauber ist dann noch ein zweites Mal geflogen, mit mehr Wasser und Lebensmitteln", sagt der Pressesprecher der deutschen Marine in Dschibuti, Kurt Leonards.

Und danach bestand kein weiterer Handlungsbedarf angesichts der Katastrophe? "Das war ein ganz punktuelles Eingreifen. Und es gab keine weitere Bitte der somalischen Regierung." Auch im Verteidigungsministerium sagt man, der Bundeswehr seien da die Hände gebunden, die Soldaten könnten nur eingreifen, wenn sie dazu aufgefordert werden. "Uns liegt da nichts vor", heißt es aus Berlin.

© SZ vom 7.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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