Tropische Temperaturen in Deutschland:Gewerkschaften verlangen Hitzefrei

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Die Hitzewelle macht der Wirtschaft zu schaffen: Atomreaktoren mussten gedrosselt werden, Landwirte erwarten drastische Ernteausfälle und die Gewerkschaften sorgen sich um die Gesundheit der Bauarbeiter. Allein die Getränkerhersteller freuen sich.

Bauernpräsident Gerd Sonnleitner sagte, es gebe Felder in Ostdeutschland, die ruiniert seien. Dagegen profitieren Getränkehersteller vom wachsenden Durst. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sieht in diesem Jahr eine ähnliche Entwicklung wie im Rekordsommer 2003.

Straßenarbeiten mit heißem Teer. (Foto: Foto: dpa)

Wissenschaftler betonen, dass eine einzelne Hitzeperiode wie der Juli 2006 nicht als Beleg für den globalen Klimawandel gesehen werden darf. Die globale Erwärmung werde erst sichtbar, wenn die Durchschittstemperaturen auf dem gesamten Planeten über viele Jahre hinweg verglichen würden. 2005 war weltweit das wärmste Jahr seit dem Beginn von Wetteraufzeichnungen.

Die Deutschen erlebten das subjektiv anders: Der wesentlich heißere Sommer 2003 ist noch in Erinnerung. Der Klimawandel erlaubt besonders in den kontinentaleuropäischen Breiten auch weiterhin starke Schwankungen des Wettergeschehens. Im Januar, Februar und März erlebten Teile Deutschlands eine anhaltende Frostperiode. Nun sieht es aus, als würde sich ein Rekordsommer anschließen.

IG Bau: Leben der Menschen über Profit stellen

Die Gewerkschaften riefen die Betriebe zu Rücksicht auf die Beschäftigten auf. "Ich appelliere an die Arbeitgeber, das Leben der Menschen über den Profit zu stellen", sagte der Vorsitzende der IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) Klaus Wiesehügel.

"Wir müssen darüber nachdenken, ob extrem heiße Tage nicht unter "Schlechtwetter" fallen sollten wie klirrende Kälte im Winter", sagte er. Im Bau wird bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall von Dezember bis März Saisonkurzarbeitergeld gezahlt. Die Bundesagentur für Arbeit zahlt dabei einen großen Teil der Gehälter.

Laut IG Bau leiden unter der Hitze am meisten Beton- und Straßenbauer, die etwa mit heißem Teer hantieren. Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi appellierte an die Arbeitgeber, Mitarbeiter zu schonen. "Die Betriebe sollten Arbeit in die frühen Morgen- oder kühleren Abendstunden legen", sagte eine Sprecherin.

"Der Weizen brennt weg"

Den Kraftwerken macht die Hitze ebenfalls zu schaffen. Die Stromkonzerne Eon und Vattenfall haben inzwischen vier norddeutsche Kernkraftwerke zurückfahren müssen, weil Flüsse zu warm sind, um die Reaktoren zu kühlen. Eine Gefahr für die Versorgung bestehe aber nicht, versicherte ein Sprecher des Stromnetz-Verbandes VDN.

Umweltverbände forderten angesichts hoher Ozon-Konzentrationen Fahrverbote. "Das Sommersmog-Problem wird seit Jahren verschleppt", kritisierte Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid. Das Umweltbundesamt lehnte Fahrverbote ab, weil sie kurzfristig die Ozon-Konzentration kaum minderten.

Die Getreideernte in Deutschland wird nach Einschätzung des Deutschen Bauernverbandes in diesem Sommer im Schnitt um zehn bis 15 Prozent niedriger ausfallen als 2005. Bis vor drei Wochen hatte die Branche noch mit einem überdurchschnittlichen Ertrag gerechnet. Besonders hart trifft es die Bauern in Nord- und Ostdeutschland. In Brandenburg etwa ist seit Pfingsten kein Tropfen Regen mehr gefallen, Felder und Äcker sind ausgedörrt. "Die Hitze brennt den Weizen regelrecht weg", sagte Sonnleitner.

Ganz Europa leidet unter der Hitze

"Je nach Boden- und Niederschlagsverteilung ist hier mit einer 30 bis 40 Prozent niedrigeren Ernte zu rechnen." Besser ist die Lage in Bayern oder Baden-Württemberg, wo in den vergangenen Wochen mehr Niederschläge durch Gewitter verzeichnet wurden.

Auch die Franzosen verzeichnen eine Hitzeentwicklung wie zuletzt vor drei Jahren. Es hat bereits neun Hitzetote gegeben, im Sommer 2003 waren es mehr als 10 000. Seither hat die Regierung dafür gesorgt, dass vor allem die Bewohner von Altenheimen besser vor der Hitze geschützt werden. Schwieriger als in Deutschland stellt sich die Lage bei der Energieversorgung derzeit in Frankreich dar.

Der Energieriese Electricité de France (EDF) hat vorsorglich mehrere tausend Megawatt Strom aus dem Ausland gekauft, um die Versorgung der Franzosen zu sichern. Auch die Briten erleben einen Rekordsommer. Mit 36,5 Grad wurde am Mittwoch der heißeste Tag auf den britischen Inseln seit fast hundert Jahren gemessen.

© SZ vom 21.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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