Trittbrettfahrer nach dem Amoklauf:"Durch die schreckliche Tat angestachelt"

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Der Gewaltforscher Frank Robertz über mögliche Trittbrettfahrer und Nachahmer nach dem Uni-Massaker in Blacksburg.

Beate Wild

Frank Robertz ist Leiter des Instituts für Gewaltprävention und angewandte Kriminologie in Berlin. Der Sozialpädagoge und Kriminologe beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren mit Gewalt und Gewaltprävention.

Frank Robertz befürchtet eine Welle von Trittbrettfahrern. (Foto: Foto: IGaK)

sueddeutsche.de: Herr Robertz, direkt nach Amokläufen muss man erfahrungsgemäß mit einer Welle von Trittbrettfahrern rechnen. Erwarten Sie das nach dem Amoklauf in den USA jetzt auch wieder?

Robertz: Ich rechne stark damit. Das hat man ja auch nach den School Shootings in Columbine (USA) und in Erfurt gesehen. Viele junge Menschen fühlen sich durch so eine schreckliche Tat angestachelt, es dem Täter gleichzutun. Besonders in den ersten sechs Wochen nach der Tat steigt die Anzahl von Gewaltankündigungen etwa um ein Zehnfaches. Allerdings muss man ganz klar unterscheiden zwischen Trittbrettfahrern und Nachahmern.

sueddeutsche.de: Was ist der Unterschied?

Robertz: Der Trittbrettfahrer ist sozial randständig und will sich mit seiner Aktion in den Mittelpunkt spielen. Eigentlich ist er harmlos, er will nur Aufmerksamkeit erregen, Spaß haben oder ein bestimmtes Ziel - wie einen schulfreien Tag - erreichen. Und das Ganze im Schutz der Anonymität. Er will den Leuten nur Angst machen.

sueddeutsche.de: Und den Nachahmer muss man wörtlich nehmen?

Robertz: Allerdings. Der Nachahmer ist sozial isoliert und spielt schon seit längerem mit dem Gedanken, eine Gewalttat zu verüben. Er ist gefährlich, hat eine intensive Gewaltphantasie und meint es äußerst ernst mit seiner Androhung, die in einem tatsächlichen Gewaltakt münden kann.

sueddeutsche.de: Wie kann man bei der Ankündigung einer Bluttat zwischen Trittbrettfahrer und Nachahmer unterscheiden?

Robertz: Auf den ersten Blick gar nicht, das ist ja das Problem. Die überwiegende Mehrheit sind nur Trittbrettfahrer, aber wir sind natürlich gezwungen, alle Hinweise zu überprüfen.

sueddeutsche.de: Mit was für Konsequenzen müssen Trittbrettfahrer rechnen?

Robertz: Es droht ihnen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren - wegen Störung des öffentlichen Friedens und Androhung von Straftaten. Außerdem werden ihnen alle entstandenen Kosten in Rechnung gestellt, das kann bis in den fünfstelligen Bereich gehen.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielen bei dem Ganzen die umstrittenen Gewalt-Computerspiele?

Robertz: Vor allem Nachahmer fühlen sich von solchen Spielen magisch angezogen. Sie können ihre Gewaltphantasien erheblich steigern. Allerdings heißt das nicht, dass jemand, der solche Gewaltspiele nutzt, auch ein potentieller Amokläufer ist. Mindestens ebenso großen Einfluss haben reißerische Titel in Boulevardzeitungen.

sueddeutsche.de: Inwiefern?

Robertz: Nachahmer selbst nehmen sich als klassische Versager wahr, die nichts auf die Reihe kriegen - weder Schulabschluss, noch Freundin, noch Elternhaus. Dann sehen sie Berichte über einen Amokschützen in den Medien und sehen diesen Weg plötzlich als Lösung auch für ihre Probleme. Wenn da auf dem Titelblatt der Bild-Zeitung unter dem Bild des Amokläufers steht "Er hatte Liebeskummer", ist es gut möglich, dass der Nachahmer denkt: "Ich habe auch Liebeskummer. Was er gemacht hat, könnte auch die Lösung für mich sein." Ich plädiere für einen sorgsamen Umgang mit solchen Themen in der Berichterstattung. Schon die Beachtung weniger Prinzipien hilft, Nachahmungstaten zu vermeiden.

sueddeutsche.de: Welche Prinzipien sind das?

Robertz: Man sollte etwa keine ungesicherten Vermutungen zum Motiv äußern, keine zu konkreten Darstellungen des Tathergangs liefern und kein emotionales Bildmaterial zeigen.

sueddeutsche.de: Die meisten Nachahmungstäter benutzen das Internet als Kommunikationsplattform.

Robertz: Ja, mit dem Internet haben wir ein großes Problem. Da kommt noch einiges auf uns zu. Wenn Täter ihre Tagebücher oder Videos im Internet veröffentlichen, ist es für andere Jugendliche ein Leichtes, sich zu informieren und mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen. Hier kann sich jeder präzise Informationen über Gewalttaten verschaffen - ungefiltert. Früher konnte man sich nur in den Medien informieren. Da wurde ausgewählt, was veröffentlicht wird und was nicht. Mit dem Internet ist sozusagen die letzte Kontrollbastion gefallen.

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