"Todespfleger von Sonthofen":Verteidigung weist Mordvorwürfe zurück

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Im Prozess um die spektakulärste Serie von Patiententötungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte hat der Verteidiger auf Totschlag plädiert. Zudem griff er die Ermittlungsbehörden scharf an.

"In keinem Fall ist dem Beschuldigten Mord aus Heimtücke oder niederen Beweggründen nachzuweisen", sagte Verteidiger Jürgen Fischer aus Frankfurt am Main heute in seinem Plädoyer vor dem Landgericht Kempten.

Stephan L. betritt den Gerichtssaal (Foto: Foto: dpa)

Deshalb seien die Merkmale für einen Mordvorwurf nicht gegeben. Der 28-jährige ehemalige Krankenpfleger habe vielmehr aus "Mitleid und Überforderung" im Umgang mit seinen schwerkranken Patienten getötet.

Bei seiner Begründung, weshalb die Taten nicht als Mord einzustufen seien, bezog sich Fischer wiederholt auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) zu anderen Fällen von Patiententötungen und zu Fällen von Sterbehilfe.

Während bei einer Verurteilung wegen Mordes eine lebenslange Haftstrafe zwingend ist, gilt bei Totschlag eine Höchststrafe von fünfzehn Jahren.

Auch die Zahl der getöteten Patienten liegt nach Ansicht der Verteidigung unter der, die ihrem Mandanten von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt wird.

Mord und Totschlag

Laut Anklage der Staatsanwaltschaft soll der Stephan L. zwischen Anfang 2003 und Mitte 2004 im Krankenhaus von Sonthofen insgesamt 28 Patienten zu Tode gespritzt haben.

Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer vor drei Wochen die Taten in 13 Fällen als Mord, in 14 Fällen als Totschlag und in einem Fall als Tötung auf Verlangen gewertet. Sie forderte eine lebenslange Freiheitsstrafe sowie die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, was eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren ausschließt.

Kritik an Ermittlungsbehörden

Verteidiger Fischer griff in seinem Plädoyer die Staatsanwaltschaft scharf an. Er warf ihr "unrichtige und selektive Auslegung" von Beweisen vor. Die Staatsanwälte und die Ermittler der Polizei seien unprofessionell vorgegangen, nur um ein Geständnis zu bekommen, das in ihr System passe.

Fischer sagte: "Man ist bewusst mit verstopften Ohren und mit Scheuklappen durch den Tunnel gelaufen." Auch dem psychiatrischen Gutachter, der dem Angeklagten "volle Schuldfähigkeit" attestiert hatte, warf der Verteidiger Voreingenommenheit vor.

Außerdem machte er Missstände am Klinikum Sonthofen mitverantwortlich für die Taten seines Mandanten. L. sei als Berufsanfänger in der Pflege von Schwerstkranken auf der Intensivstation völlig überfordert gewesen und von der Klinik allein gelassen worden.

Weiterer Prozessverlauf

Die Verteidigung wird ihr Plädoyer am Freitag mit der Behandlung der weiteren noch fünfzehn Fälle abschließen. Fischer sagte auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP, dass die Verteidigung am Ende wahrscheinlich keine genaue Strafmaßforderung vornehmen, sondern auf eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe plädieren werde. Ein Urteil soll nach bisherigen Planungen Anfang November fallen.

Allerdings forderte der Strafverteidiger auch, die an sich abgeschlossene Beweisaufnahme noch einmal neu aufzunehmen. Dazu stellte er mehrere Beweisanträge. Falls das Gericht diesen stattgibt, müssten weitere Zeugen geladen werden.

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