Tod der siamesischen Zwillinge:Ruhm als Ansporn?

Lesezeit: 2 min

Der Adoptivvater von Ladan und Laleh will das Raffles Hospital verklagen. Den Spezialisten sei klar gewesen, dass die Operation mindestens einen der Zwillinge das Leben kosten würde.

Von Manuela Kessler

(SZ vom 14.07.2003) Der Rummel ist vorüber. Das Raffles Spital von Singapur liegt verwaist. Die Blicke der Passanten wandern verstohlen zu dem gelben Krankenhaus, als ob ein Fluch auf ihm laste. Der Tod der siamesischen Zwillinge Ladan und Laleh Bijani geht den vier Millionen Singapurern nahe. Vor der fatalen Operation hatten die siamesischen Zwillinge aus dem Iran sieben Monate lang in diesem Privatkrankenhaus gelebt und sich einer umfangreichen Testserie unterzogen, abgeschirmt von der breiten Öffentlichkeit. Die Informationen und Bilder aber, mit denen die Raffles Medical Group die Medien wohl dosiert fütterte, verliehen den Schwestern Gesichter und Stimmen wie den Mädchen von nebenan.

Mutter (links) und Tante (rechts) am Grab der Zwillinge. (Foto: dpa)

Bevölkerung trauert

Die Anteilnahme an ihrem Schicksal, am Kopf zusammengewachsen geboren zu sein, war im südostasiatischen Stadtstaat riesig. Sie ist der tiefen Trauer und Bestürzung darüber gewichen, dass die 29-jährigen Schwestern letzte Woche ums Leben kamen beim Versuch, ihre Lebensader zu trennen. War es richtig, die riskante Gehirnoperation an ihnen durchzuführen? Die Frage beherrschte in Singapur noch immer die Zeitungen und Kaffeehausgespräche, als Ladan und Laleh Bijani am Samstag in ihrem Heimatort Lohrasb, im Südwesten des Irans, mit allen Ehren zu Grabe getragen wurden.

Der Vorsitzende der iranischen Jugendliga schlug in einem offenen Brief an Präsident Khatami vor, ihren Geburtstag, den 31. Dezember, zum "nationalen Tag der Liebe" zu erklären. "Ihr unbeugsamer Geist soll auf immer und ewig als Vorbild weiterleben", schrieb Rahim Ebadi. Schwarze Trauerfahnen umhüllten das ärmliche Elternhaus der Verstorbenen, das sie als Kleinkinder bereits verlassen hatten. Der Vater gab die Zwillinge weg, weil es ihm an den Mitteln fehlte, sie aufzuziehen. Das hinderte ihn nicht daran, schriftlich sein Einverständnis für die Operation in Singapur zu geben. "Es war ihr freier Wille", betonte er selbst angesichts der beiden Särge.

Zwillinge setzten ihren Wunsch durch

Der Adoptivvater, ein Teheraner Arzt, will das Raffles Hospital jedoch verklagen. Ali Reza Safaian beschuldigt das verantwortliche Medizinerteam, unverantwortlich gehandelt zu haben. Den Spezialisten sei klar gewesen, dass die Operation mindestens einen der Zwillinge das Leben kosten würde.

"Revolutionsführer Ayatollah Khomeini aber hat 1976 ein religiöses Edikt erlassen, wonach es verboten ist, sein Leben für ein anderes zu opfern", sagt Safaian. "Ich und mein Bruder, der in Deutschland als Arzt praktiziert, haben vor dem Eingriff gewarnt, aber niemand wollte auf uns hören." Den Warnungen verschlossen sich auch Ladan und Laleh Bijani selbst: Vor eineinhalb Jahren kappten sie den Kontakt zu ihren Adoptiveltern.

Ruhm als Ansporn?

Haben die Singapurer Ärzte die Zwillinge dem eigenen Streben nach medizinischem Weltruhm geopfert? Das Raffles Hospital schweigt zu den Vorwürfen. Der Entwicklungsminister Vivian Balakrishnan verteidigte die Mediziner. Sie hätten die Operation "nicht leichtfertig, skrupellos oder klammheimlich" in Angriff genommen, erklärte er. "So traurig das Resultat auch ist, hat ihr Versuch doch gezeigt, wie hochstehend das Gesundheitssystem im Stadtstaat ist, technologisch wie menschlich."

Diese Tatsache ist in Südostasien unbestritten. Wohl Betuchte aus der ganzen Region pflegen zu medizinischen Checkups und Eingriffen seit Jahrzehnten nach Singapur zu reisen. Privatspitäler in Thailand und Malaysia machen dem Stadtstaat den medizinischen Markt jedoch zunehmend streitig.

Kette von Arzt-Praxen

Die Raffles Medical Group ist relativ neu im Geschäft. Die rund 60 Praxen, welche die Gruppe im Inselstaat betreibt, wenden sich an einheimische Patienten. Das ultramoderne Raffles Hospital mit seinen 380 Betten wurde erst letztes Jahr eröffnet und die Belegung lässt noch schwer zu wünschen übrig. Die Mediziner wie Bankanalysten in Singapur sind sich uneins, ob die tödlich verlaufene Operation an den Bijani-Zwillingen dem Unternehmen letztlich finanziell schadet oder nützt. Der Börsenkurs, der nach der Schreckensnachricht am Dienstag eingebrochen war, hat sich stabilisiert.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: