Tod der siamesischen Zwillinge:"Ich war sicher, es würde nicht gut gehen"

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Die jetzt verstorbenen siamesischen Zwillingsschwestern hatten bereits zweimal Mediziner um eine Trennung gebeten. Ein Interview mit dem Neurochirurgen Madjid Samii, der die Operation vor 15 Jahren ablehnte.

(SZ vom 09.07.2003) - Bevor sich die beiden Siamesischen Zwillingsschwestern Laleh und Ladan Bijani in Singapur operieren ließen, hatten sie bereits zweimal in Deutschland um eine chirurgische Trennung gebeten: 1997 in Heidelberg und 1988 in Hannover.

Eine Aufnahme des Gehirns zeigt in der Mitte die Vene, die für den Abfluss des Blutes aus dem Gehirn entscheidend ist. (Foto: dpa)

Madjid Samii, damals Neurochirurg an der Medizinischen Hochschule in Hannover hat den Eingriff abgelehnt.

SZ: Was waren die Gründe für Ihre Skepsis?

Samii: Ich habe damals eingehend die Struktur der beiden Gehirne und den Hirnkreislauf studiert. Die Blutversorgung war unproblematisch, auch waren beide Gehirne klar voneinander getrennt.

Das Problem aber bestand darin, dass beide Frauen nur einen Sinus sagittalis hatten. Diese Vene ist für den Abfluss des Blutes entscheidend. Deshalb wollte ich den Eingriff nicht vornehmen.

SZ: Hat sich die Medizin in den vergangenen 15 Jahren so weiterentwickelt, dass das Risiko heute eher vertretbar erschien?

Samii: Nein, an diesem Problem hat sich nichts geändert. Zwar kann man technisch einen Abfluss beim zweiten Zwilling schaffen. Aber das neue Gefäß wird niemals ausreichend mit den übrigen kleineren Venen des Gehirns verbunden sein, und am verbleibenden Sinus sagittalis entstehen Narben.

Dort kann sich das Blut stauen, sodass es binnen Tagen zu einer Schwellung des Gehirns kommt.

Der Tod oder eine Behinderung können die Folgen sein. Das gestaute Blut kann aber auch die Gefäße zum Platzen bringen. Wenn es dazu kommt, ist nicht nur eine Region geschädigt, sondern das ganze Gehirn.

Ich nehme an, dass genau das jetzt auch für den Tod der beiden Patientinnen verantwortlich war.

SZ: Hätten das nicht auch die Ärzte aus Singapur wissen müssen?

Samii: Ich war mir schon damals hundertprozentig sicher, dass eine chirurgische Trennung nicht gut ausgehen könnte. Heute hätte man das erst recht wissen müssen. Denn wir können mit modernen Verfahren jeden Millimeter des Gehirns sehen und beurteilen.

SZ: War es überhaupt vertretbar, die Operation bei den schon erwachsenen Patientinnen vorzunehmen?

Samii: In der Chirurgie ist alles vertretbar, wenn sich der Operateur abgesichert hat. Die Absicherung hätte aber in diesem Fall zu einer negativen Entscheidung führen müssen.

SZ: Verstehen Sie die Entscheidung der Chirurgen angesichts der Tatsache, dass die Patientinnen die Operation unbedingt wollten?

Samii: Die Patientinnen haben damals auch mich bedrängt. Es ist aber der Arzt, der letztlich die Verantwortung für sein Handeln übernehmen muss.

Interview: Michael Brendler

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