Tirol:Das Dorf, in dem die Drohung herrscht

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In dem Ort Umhausen werden Familien seit Jahren von einem oder mehreren Unbekannten in Angst und Schrecken gehalten.

Von Michael Frank

Umhausen - Zu Mariä Lichtmess feiern die Katholiken, dass es wieder hell zu werden beginnt in der Düsternis des Winters. Da aber soll es in Umhausen im Tiroler Ötztal erst richtig finster werden: An diesem Tag, dem 2. Februar, sollen in dem Dorf mit seinen 3000 Seelen 25 Menschen sterben.

Ein Wahnwitziger hat dies angekündigt, auf Listen, welche in großen überdeutlichen, stilisierten Lettern die Namen von 25 Umhausenern tragen, zumeist Frauen und Kinder.

Eine erste makabre Botschaft war an ebenso makabrem Orte hinterlegt worden: Vor ihrer Haustür fand eine Familie einen Zettel, auf dem es hieß, an einem bestimmten Grabe auf dem Umhauser Friedhof sei eine wichtige Nachricht deponiert.

Dort, wo die Großmutter einer der Bedrohten liegt, fand sich in der Grablaterne die "Todesliste". So abgeschmackt wie diese Szene könnte Unbeteiligten die ganze Affäre vorkommen.

Doch Drohungen gegen Wohlergehen, Leib und Leben verschiedener Umhausener gibt es bereits seit drei Jahren.

Gefährlicher Unbekannter

Das gespenstische Szenarium zieht sich in konzentrischen Kreisen um die Familie der Hausfrau Sabine G. Sie und fünf weitere Familien erhalten fast regelmäßig schriftlich und telefonisch Beschimpfungen und Drohbotschaften.

Erst glaubte man an einen dummen Witz missgünstiger Mitbürger oder Kinderstreiche. Die Polizei und die Bedrohten mussten sich aber von der Gefährlichkeit des oder der Unbekannten überzeugen lassen.

Umhausens Bürgermeister Jakob Wolff, der das Seelenleben der Gemeinde nachhaltig zerrüttet sieht, hat 3000 Euro Belohnung für Hinweise zur Ergreifung des Gespenstes ausgesetzt.

Daraufhin traf ihn die Ankündigung, seine ganze Familie werde "verrecken", wenn sich des Bürgermeisters Kinder nicht von denen der Sabine G. fern hielten.

Die Behörden haben für Mariä Lichtmess am kommenden Montag Vorkehrungen getroffen. Johannes Lechner von der Tiroler Gendarmerie konstatiert erhebliche "kriminelle Energie", mit der vorgegangen werde: 28 Schimpf- und Drohbriefe gingen ein, vier der Morddrohungen kamen per Glückwunschkarte.

Keine Spuren, nirgends

Die Schrift ist so stilisiert, dass sie keine Rückschlüsse auf den Schreiber zulässt. Anrufe sind von Telefonen aus geführt worden, deren Eigentümer nachweislich nicht im Ort waren.

Öffentliche Fernsprecher wurden mit Gebührenkarten bedient. Mobiltelefone wurden offensichtlich nur besorgt, um die Mitwelt zu terrorisieren, und dann weggeworfen.

Nirgendwo sind Spuren entdeckt worden, die etwas über den oder die Urheber sagen. Auch nicht über die Motive, was besonders ängstigt, weil niemand weiß, worauf die Schauergeschichte eigentlich hinauslaufen soll.

Und Kindern sei eine derartige, über Jahre währende Sorgfalt nicht zuzutrauen.

Brandstiftung und Drohbriefe

Der böse Geist von Umhausen hat auch anderweitig seinen Ankündigungen Nachdruck verliehen.

Eines Abends, beim Müllhinaustragen, rammte jemand Sabine G. im Dunkeln von hinten eine 15 Zentimeter lange Häkelnadel in den Oberschenkel. Der Holzschuppen ging in Flammen auf.

Ihrer Cousine Marika P. wurde bei einem Besuch bei den G.s das Auto angezündet. Spätere Drohbriefe enthielten Bekenntnisse zur Täterschaft.

Angesichts der "intimsten Personal- und Lokalkenntnisse", so die Gendarmerie, muss der Unhold im Ort oder in nächster Nähe zu suchen sein.

Die Angst geht um

Vage Tätervorstellungen ließen vorsichtig auf eine Frau schließen. Ein erstes Verfahren gegen eine Verdächtige wurde schon vor zwei Jahren eingestellt.

Handfesten Hinweis gibt es keinen einzigen. Nur dass es sich wohl um eine gefährlich irre Person handelt, scheint klar.

Die Betroffenen müssen eingestehen, dass der Ungeist von Umhausen erreicht hat, dass Angst umgeht "und niemand von uns mehr wirklich Ruhe hat". Das sagt Andrea S., deren Familie terrorisiert wird, die sich mit den anderen Betroffenen regelmäßig trifft, um die Lage zu besprechen und einander Mut zu machen.

Denn auch wenn die übrigen Dorfbewohner alles mit Mitgefühl und Unentschlossenheit verfolgen, ob das alles wirklich gefährlich oder nur ein "Schmäh" sei, so treibt die Sache einen Keil in die Gemeinde.

"Traust dich noch heim?" Eine Frau erzählt, wie eine Bekannte beim Kinderfasching halb im Ernst fragt: "Darf man mit euch denn überhaupt noch reden?" Bei vielen Gelegenheiten fänden sich die terrorisierten Familien und die anderen ganz unbeabsichtigt auf zwei Seiten einer unsichtbaren Barriere.

In Nachbardörfern, erzählen Umhausener, werde man schon gefragt: "Na, traust Dich noch heim?" Zu Mariä Lichtmess, wenn in traditionsbewussten und frommen Gegenden wie Tirol die Kerzen des Christbaums ein letztes Mal entzündet werden, dürfte diesmal kein verspäteter Weihnachtsfriede einkehren.

Es sei denn, der Täter ließe sich bei einem "termingerechten" Versuch fassen, die Schraube der Angst weiter anzuziehen.

© SZ vom 30.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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