Tessin:Blutiger Überfall ohne erkennbares Motiv

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Im mecklenburgischen Tessin sollen zwei 17-Jährige ein Ehepaar erstochen und eine 15-Jährige entführt haben.

Arne Boecker

Vielleicht haben sie wirklich geglaubt, dass sie noch eine Chance haben. Die Filmgeschichte kennt schließlich genug Szenen, in denen Gangster ihren Häschern im allerletzten Moment doch noch entkommen. Wenn man im Mecklenburgischen wohnt, ist Hollywood jedoch weit, sehr weit. Und so schafften es zwei junge Männer am Samstagabend zwar, mit ihrem Fluchtauto zwei Zäune zu durchbrechen, am Rande einer Pferdekoppel war ihr Weg aber dann zu Ende.

Polizeibeamte sichern Spuren am Tatort. (Foto: Foto: ddp)

Wenn die Vorwürfe zutreffen, die die Staatsanwaltschaft Schwerin gegen die beiden erhebt, dürfen die Ermittler aufatmen, dass die Flucht ein derart schnelles Ende fand. Bevor die 17-Jährigen Amok fuhren, sollen sie einfach an der Tür eines Hauses geklingelt und das Ehepaar, das ihnen öffnete, erstochen haben.

Zudem hatten sie eine Geisel zu sich ins Auto geholt. Trotz des Unfalls bei der Flucht blieben alle drei unverletzt. Noch am Sonntag sollte ein Richter entscheiden, ob gegen das Duo Haftbefehl erlassen wird.

Um kurz nach 22 Uhr hatte die Polizei am Samstagabend einen verzweifelten Anruf erhalten. Seine Eltern seien ermordet worden, rief ein Junge in den Hörer. Die Adresse, die er angab, liegt in Tessin, einem 400-Einwohner-Dorf bei Boizenburg, auf der mecklenburgischen Seite der Elbe gelegen.

Als die Polizei mit großem Aufgebot eintraf, umstellte sie das Auto, in dem zwei 17-jährige Männer und ein 15-jähriges Mädchen saßen. Gegen 22.20 Uhr raste der VW Polo plötzlich los. Erst rammte er ein gusseisernes Gartentor aus dem Weg, dann durchbrach er einen hölzernen Koppelzaun. Obwohl der Fahrer nach Angaben der Ermittler augenscheinlich in Panik geraten war, schaffte er noch zwei Runden auf der schlammigen Koppel, dabei rammte er einen Polizeiwagen. Schließlich stieß er gegen ein Auto, das auf einem nahen Parkplatz stand. Hier endete die Flucht.

Es sollte dann aber noch eine volle Stunde dauern, bis es den Polizisten gelang, die jungen Männer zur Aufgabe zu bewegen. Um 23.22 Uhr ergaben sich die 17-Jährigen.

In der Zwischenzeit hatten Polizisten im Haus zwei Leichen gefunden. Beide wiesen schwere Schnittverletzungen auf. Frau E. starb im Alter von 41, ihr Mann im Alter von 46 Jahren. In seinem Zimmer fanden die Beamten den völlig verängstigten Sohn des erstochenen Ehepaares. Der 16-jährige Florian E. hatte kurz zuvor die Polizei alarmiert.

Der Schweriner Staatsanwalt Hans-Ulrich Pick konnte am Sonntag noch wenig über das Motiv für die Bluttat sagen. In Tessin war zu hören, es könne bei dem Streit um das Auto der Familie gegangen sein. Einer der mutmaßlichen Täter, Felix D., hat ein paar Häuser neben der Familie E. gewohnt, der andere, Torsten B., im Nachbarort. Beide gehen auf das Gymnasium und sind bislang noch nicht aufgefallen, schon gar nicht durch den Gebrauch von Gewalt. Das Mädchen, das sie als Geisel nahmen, soll eine Bekannte von Jana gewesen sein, der Tochter des Ehepaars E.

Das Elbdorf Tessin stand am Sonntag unter Schock. Erklären kann man sich das Verbrechen hier kaum. Die Familie E., in deren Haus sich die Bluttat ereignete, soll ,,immer ein bisschen für sich gelebt haben'', sagte eine Nachbarin.

Im beschaulichen Landkreis Ludwigslust haben sich zuletzt einige große Unternehmen der Lebensmittelbranche angesiedelt. Die neue Autobahn schafft schnelle Verbindungen zu den Wirtschaftszentren im Westen. Viele Ludwigsluster pendeln auch nach Niedersachsen. Der Landkreis hat im strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern die niedrigste Arbeitslosenquote.

Am Sonntagmorgen hatte Tessins Bürgermeisterin Gertrud Geistlinger noch Nachfragen beantwortet. ,,Ausgerechnet hier bei uns im ruhigen Tessin'', sagte sie Lokalreportern, ,,so was kennt man doch sonst nur aus Amerika''. Nachmittags beantwortete sie keine Anrufe mehr, weil sich einfach zu viele Neugierige meldeten.

© SZ vom 15.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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