Teenager-Schwangerschaften:Von wegen aufgeklärt

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Wenn minderjährige Mädchen schwanger werden, dann fast immer ungewollt. Schuld daran ist häufig Unwissen: Bei geringer Bildung ist eine Schwangerschaft wahrscheinlicher. Und Gymnasiastinnen entscheiden sich eher für eine Abtreibung.

Steffen Heinzelmann

Die Schwangerschaft hat angeblich viele Mädchen überrascht. Beim Sex hätten sie mit einem Kondom verhütet, erzählten sie in den Beratungsstellen, und immer brav die Pille genommen. Trotzdem sind vergangenes Jahr in Deutschland 11902 minderjährige Frauen schwanger geworden.

Kein Einzelfall: Mütter werden immer jünger (Foto: Foto: dpa)

In neun von zehn Fällen ungewollt, wie eine Studie der Initiative Pro Familia und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigt. Schuld daran ist häufig Unwissen: Bei geringer Bildung ist eine Schwangerschaft wahrscheinlicher. Gymnasiastinnen entscheiden sich dafür eher für eine Abtreibung.

Ungereimtheiten bei Befragungen

Mit statistisch 8,3 schwangeren Teenagern pro 1000 Frauen liegt Deutschland zwar im internationalen Vergleich am unteren Ende der Skala. Und Elke Thoß, Geschäftsführerin von Pro Familia, sagt: "Seit vier Jahren stagnieren die Schwangerschaftsraten in Deutschland."

Wenn Gunter Schmidt, Professor am Institut für Sexualforschung der Uni Hamburg, durch die Studie blättert, findet er aber eine Zahl bemerkenswert: "Zwei Drittel der Befragten gaben an, mit Kondom oder Pille verhütet zu haben."

Manches Mädchen müsse bei der Umfrage in den Beratungsstellen geschwindelt haben. Der Wert zeige aber Aufklärungsbedarf in Sachen Verhütung, so Schmidt. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale, spricht von Anwendungsfehlern bei Pille und Kondomen, "in der ganzen Aufregung" beim Geschlechtsverkehr.

Soziale Benachteiligung entscheidender Faktor

Die Studie weist auf deutliche Unterschiede zwischen den Mädchen hin. "Soziale Benachteiligung erhöht die Wahrscheinlichkeit, minderjährig schwanger zu werden", sagt der Sexualwissenschaftler.

Soziale Benachteiligung bedeutet etwa schlechte Schulbildung, Arbeitslosigkeit, fehlende Perspektiven. Bei Hauptschülerinnen ist die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft im Teenageralter nach Angaben der Studie fünfmal höher als bei Gymnasiastinnen.

Prekär ist offenbar das Verhütungsverhalten bei vielen Musliminnen. Mehr als die Hälfte der schwangeren Mädchen muslimischer Herkunft hätten gar nicht oder unsicher verhütet, zum Beispiel über Sex an vermeintlich unfruchtbaren Tagen.

Schmidt spricht in diesem Kontext von männerdominiertem Sex und einem hohen Altersunterschied zwischen den Sexualpartnern, außerdem vom traditionellen Frauenbild "zum Beispiel bei Männern und Frauen aus der Türkei oder dem osteuropäischen Raum". Bei türkischen Mädchen fehle häufig auch grundlegendes Wissen über die Funktion der Geschlechtsorgane.

Abtreiben, um weiterzukommen

Die Mädchen unterscheiden sich auch in ihrem Verhalten, sobald eine Schwangerschaft feststeht. Mehr als 7000 Minderjährige haben im vergangenen Jahr abgetrieben - seit Mitte der Neunziger hat sich die Zahl der Abbrüche bei Minderjährigen damit fast verdoppelt.

"60 Prozent der schwangeren Mädchen entscheiden sich mittlerweile für den Abbruch", erläutert Schmidt. Zum Vergleich: Bei den 25- bis 29-jährigen Frauen sind es zwölf Prozent. "In sozial benachteiligten Schichten tragen die jungen Frauen das Kind allerdings eher aus." Bei Gymnasiastinnen sei dagegen eine Abtreibung wahrscheinlicher.

"Eine gute berufliche Zukunftsperspektive ist eine wichtige Barriere gegen die Austragung der Schwangerschaft in diesem Alter", erklärt der Forscher. Viele Frauen in unteren Schichten sähen ein Kind dagegen als Möglichkeit, ihrem Leben einen Sinn zu geben.

© SZ vom 28.09.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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