Talk-Premiere:Mitternachtsübung im weißen Design

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Anke Engelke wird ihren Late-Night-Talk hinkriegen. Vielleicht nicht in der ersten, vielleicht nicht in der zweiten Sendung. Wahrscheinlich wird sie irgendwann sogar bessere Zahlen vorlegen als Schmidt.

Von Christopher Keil

Es ist Montag, der 17. Mai 2004. Um 23.15 Uhr sendet Sat 1: Die Anke Late Night. Und - Überraschung! - sie wird mal pünktlich sein, also Anke Engelke.

Talk mit Anke: Ab heute jede Nacht. (Foto: Foto: AP)

Das ist bedeutsam, weil es in den vergangenen zwei Monaten fast überhaupt kein Gespräch, keine Reportage und keinen Essay mit und über Anke Engelke gegeben haben muss, wo nicht vermerkt war, dass Anke Engelke erstens zu spät am verabredeten Ort und zweitens mit Einkaufstüten nach einem chronischen Shopping-Anfall erschienen sei.

So steht's im Lebensstil-Heft Max mit der Information, dass die Wochenschrift Zeit Engelke rostfarbene Tulpen zugeführt habe beim Treffen. In der Zeit wiederum steht, dass Engelke sagte: "Wir haben eine kluge Definition gefunden für Menschen, die wir nicht in die Show einladen: Arschlöcher." Im Stern war deshalb zu erfahren: "Anke Engelke - Ich will kein Arschloch sein." Aber das sollte ihr auf jeden Fall gelingen, weil sie ja gewissermaßen immer geladen ist - in ihrer, der Anke Late Night.

Man hat sich also bei Spiegel, TV Spielfilm, TV Today, Zeit, TV Movie, Stern, TV Digital, Gala, Horizont, Welt/Berliner Morgenpost, Berliner Kurier, Tagesspiegel, Teleschau, AP, ddp, Pressebüro Wedber&Wystrichowski, W&V, WamS und FAS zu bedanken. Es war doch viel und grundsätzlich Exklusives über die Künstlerin zu erfahren, die Harald Schmidt ersetzt, ohne ihn zu ersetzen. Denn Engelke sprach über Schmidt gern als den "Gott".

Im Wesentlichen vertraut Anke Engelke natürlich den eigenen Stärken.

1. "Ich habe in acht Jahren Kinderprogramm gelernt, Anmoderationen zu sprechen, die exakt 21 Sekunden dauern."

2. "Ich habe Pädagogik studiert und wollte eigentlich Lehrerin werden."

3. "Ich war meistens die Kleinste in der Klasse."

4. "Wenn ich euphorisch bin, bin ich euphorisch."

5. "Ich bin keine gelernte Schauspielerin. Es verunsichert mich, wenn ich die falschen Schuhe anhabe."

6. Sie ist der Ladykracher.

Und 7. "Gott" Harald findet sie bekanntlich ganz prima.

Zur Erinnerung:

Als Roger Schawinski vor sieben Monaten zum Sat 1-Geschäftsführer ernannt wurde, verkündete Schmidt seinen Ausstieg. Die Late Night wurde Schawinskis erste wichtige Programmentscheidung. Obwohl er seither unheimlich innovativ gewesen ist, was sich an neuen Formaten wie Klatsch TV oder dem Bekenntnis zur Information erkennen lässt, lastet wenig mehr auf ihm als der Druck, den ein Misserfolg der Late Night entfalten würde.

Das hat zum einen damit zu tun, dass Schmidt der profilierteste Beschäftigte von Sat 1 war. Zum anderen verlangt der Eigentümer von Sat 1, Entertainer Haim Saban, Rendite.

Läge Engelkes Late-Night-Projekt in sechs Monaten deutlich unter 14 Prozent Quote bei den so genannten 14- bis 49-Jährigen, kann Sat 1 vom Produktionsvertrag zurücktreten. 14,4 Millionen Euro kostet ein Jahr mit 160 Folgen dem Vernehmen nach, eine Ausgabe also etwa 90.000 Euro. Das alles, immerhin, liegt bereits auf Schmidt-Niveau, die Quotenvorgabe inklusive.

Frauen am Abend

Die Viva-Moderatorin Charlotte Roche empfindet es als "längst überfällig", dass eine Frau den Deutschen spät abends die Welt erklärt, mit allen Mitteln, die Menschen zum Lachen und Weinen bringen.

In Amerika überlässt man den Frauen die Nachmittage, nachts reißen Männer wie Jay Leno oder David Letterman ihre Zoten. Jetzt will Engelke übers "Ficken" sinnieren, ein Wort "mit einer schön schmutzigen Konnotation", viel "schöner als dieses süße Vögeln". Amerika also ist das Referenzsystem, mit dem Schawinski seine Sat 1-Late Night messen will. Die Late Night, sagte er, müsse der Ort werden, an dem eine Politikerin wie Angela Merkel ihre Kanzlerkandidatur bekannt gebe.

Das wäre für Sat 1, den Sender, der alles vornehmlich frauen-affin ausrichtet, eine großartige Volte. Mit einer Bundeskanzlerin würde die Zielgruppe bestens grundversorgt, Sat 1 würde zum größten Sender aller Zeiten aufsteigen.

Mit Angela Merkel bräuchte Engelke praktischerweise nicht über Politik zu diskutieren, sondern über Männer. Was sie am liebsten tut. Politische Satire oder etwas Ähnliches hatte sie bislang nicht im Repertoire Es liegt ihr wohl nicht. Das ist keine neue Erkenntnis, es ist so.

Keine Heiterkeit bei der Studio-Probe

Man konnte das auch am Donnerstag der vergangenen Woche beobachten in Köln-Mülheim, während ihrer letzten Studio-Probe. Der Versuch, aus dem täglichen Info-Angebot leichter und schwerer Zeitungen die zynische Wahrheit zu gewinnen, scheiterte. Konkret ging es beim Übungslauf irgendwie um den Bundespräsidenten, seine Wutrede und die SPD.

Was immer sich die Redaktions-Autoren dazu ausgedacht haben mögen - vorgetragen und von den großen Pappschildern abgelesen, verursachte es keine Heiterkeit. Ein Polenwitz rettete anschließend auch nichts mehr. Egal. Das Gute an einem Format wie Late Night, sagt Ralf Günther, "ist, dass man es ständig verändern kann".

Ralf Günther ist einer der Geschäftsführer von Brainpool. Die Produktionsfirma ist verantwortlich für tv total mit Stefan Raab und für die Late-Night-Show mit Engelke.

Eine Anke Late Night besteht wie jede Late Night aus den bekannten Teilen: Stand up, Tisch-Comedy mit diversen Einspielfilmen, Gespräche, drei Werbeblöcke. Vor allem besteht die Anke Late Night aus Anke. Ist sie gut, ist es die Sendung. Das ist in Deutschland nicht anders als in Amerika, und sogar Harald Schmidt hat nach diesem Prinzip funktioniert. Schmidt war ein grandioser Stand-up-Comedian, dafür unspektakulär in der Menschenbefragung, die eine Stärke von Engelke werden wird.

Keine Distanz beim Talken

Jedenfalls stellte sich Charlotte Roche Donnerstagabend für den letzten Testlauf als Gast zur Verfügung. Und außerdem stellte sie fest, dass Schmidt, den sie selbstverständlich bewundert, stets kühle Distanz behalten habe, weil er körperlichen Sicherheitsabstand zu seinen Gästen behielt.

Engelke dagegen werde beim Smalltalk sehr persönlich, beinahe intim. Irgendwann saßen Roche und Engelke so dicht beieinander, dass sie eher flüsterten als sprachen, und das Publikum kam zur völligen Stille. Möglicherweise, um sich zu besinnen, denn Roche hatte zum Thema "Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern" referiert, zu dem es eine Doktorarbeit gebe, aus der sie demnächst öffentlich vorlesen werde.

Sofern die Übung verlässlich Auskunft gab, wird es heute erstmals den Versuch geben, die Themen einer Late-Night-Schau am Ende zur Melodie von Bruder Jakob im Kanon zu singen. Zur Begrüßung wird Anke Engelke den Leiter ihrer Electric Lady Band, den Bassisten Claus Fischer, nicht mit irgendeinem Handschlag begrüßen, obwohl Fischer gerade ihr Lebenspartner ist.

Die angekündigten Promis werden gemeinsam auf der weißen Couch mit vorgebogener Designerlehne sitzen - zur Premiere also der lustige Bastian Pastewka neben dem britischen Pop-Star Sting und Anke Engelke neben beiden am weißen Designerschreibtisch im weißen Designerstuhl. Und vor ihr wird ein weißer Designer-Laptop den besten Eindruck machen zum 60er-Jahre-Stil der Möbel.

Immer noch ein Weib

Sie wird es hinkriegen. Vielleicht nicht in der ersten, vielleicht nicht in der zweiten Sendung.

Harald Schmidt lud sich zur Premiere im Dezember 1995 Harald Juhnke und Brian Ferry ein. Thomas Gottschalk war von einer James-Bond-Feier zugeschaltet, umgeben von aufgetakelten Blondinen. Günther Jauch saß spitzbübisch im Publikum, Paul Kuhn war Chefmusiker, und Schmidt hatte eine eckige Brille und lange Haare.

Mit seiner späteren, epischen Versuchsreihe "TV-Zeitvernichtung", mit seinen nachgestellten Geschichts- und Literaturstunden, hatte das nichts zu tun.

Engelke, die als Mitglied der Wochenshow und mit Ladykracher Quotenmasse bewegt hat, wird ihren Anhang mittelfristig in die Stunde vor Mitternacht ziehen. Ihre Late Night wird mutieren. Wahrscheinlich wird sie irgendwann sogar bessere Zahlen vorlegen als Schmidt. Trotzdem bleibt sie die "Danke-Anke" des gespielten Witzes, die im humoristischen Fach ihre Weiblichkeit behalten hat und hysterisch genug ist, um ein paar irre Pirouetten zu drehen.

Der 17. Mai 2004 wird Sat 1 nicht verändern. Im schlimmsten Fall versagt der Bassist. Oder ein paar Kritiker verwechseln plötzlich die Ziffern ihres Alters und ihres Körpergewichtes.

Anke Late Night, Sat 1, 23.15 Uhr.

© SZ vom 17.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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