Streit um Berliner Zoo:Zucht und Unordnung

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In den Kochtopf oder als pulverisiertes Potenzmittel: Tierschützer werfen der Berliner Zoodirektion vor, den Nachwuchs an dubiose Händler verkauft zu haben.

Marc Widmann

Was geschah mit dem Zwergflusspferd? Welches Schicksal erwartete die vierköpfige Kragenbärfamilie? Und was ist aus den jungen Tigern geworden, die vor sechs Jahren den Tiergarten im Lastwagen eines Zoohändlers verließen? Seit Tagen hallen diese Fragen durch die Hauptstadt, vom Berliner "Zoo-Krieg" schreiben die Boulevard-Blätter, während sie immer neue Tierfotos drucken und in Großbuchstaben die Frage stellen, ob die niedlichen Tiger in chinesischen Kochtöpfen gelandet sind. Oder zu Potenzmitteln pulverisiert wurden.

Süß und gewinnbringend: Eisbär Knut bescherte dem Berliner Zoo internationales Ansehen. Doch nun steht die Zoodirektion wegen ihrer Zuchtpraxis in der Kritik. (Foto: Foto: dpa)

Seit vergangener Woche haben Tierschützer Bernhard Blaszkiewitz im Visier, den Chef von Zoo und Tierpark in Berlin. Er ist momentan für 23.000 Tiere verantwortlich - und habe seine Dienstpflichten verletzt, so der Vorwurf. Hunderte Tiere seien in den vergangenen Jahren spurlos verschwunden, behauptet Claudia Hämmerling. Die Grünen-Politikerin aus dem Berliner Abgeordnetenhaus fordert nicht nur die Entlassung des Zoodirektors, sie hat sogar Anzeige gegen ihn erstattet. Mehrere Tierschutzorganisationen unterstützen sie. Die Staatsanwaltschaft prüft nun die Vorwürfe.

Fast täglich bringen die Ankläger neue Beschuldigungen hervor. Die vier Kragenbären und das Flusspferd seien Anfang der neunziger Jahre an zwielichtige Tierhändler abgegeben worden. Diese hätten sie in den belgischen Ort Wortel gekarrt, wo es keinen Zoo gebe, nur einen Schlachter. Mehrere Tiger und Leoparden-Mischlinge seien in China gelandet, etwa in einer Tigerzuchtfarm, die damit wirbt, aus den Großkatzen traditionelle Medizin herzustellen. Kurzum: Der Berliner Zoo habe zahlreiche Tiere gezüchtet und dann verhökert, ohne sich um ihr Verbleiben zu kümmern. Aus Profitgier und um beim Publikum mit dem niedlichen Nachwuchs "eine Knutomanie zu erzeugen", wie der Aktivist der Tierschutzorganisation Peta, Frank Albrecht, behauptet.

Alles nur Erfindung?

Als vermeintliche Beweise präsentieren die Tierschützer Kopien aus Zuchtbüchern, die allerdings in keinem Fall belegen, dass die Tiere wirklich umgekommen sind. Nach der Meinung von Zoodirektor Blaszkiewitz stimmt daran auch kein Wort."Die Schlachtungsgeschichten sind erfunden", sagt er immer wieder, "wir arbeiten nur mit honorigen Tierhändlern zusammen." Zwar habe man in den neunziger Jahren Tiere nach China vermittelt, dafür aber eine Genehmigung des Bundesamts für Naturschutz gehabt.

Die Aufzucht gehört für den Zoodirektor zu seinen Hauptaufgaben, mit Profitgier habe das nichts zu tun. "Das ist für die Tiere gut, und natürlich sollen unsere Besucher die Aufzucht auch beobachten können." Pausenlos muss sich Blaszkiewitz in diesen Tagen rechtfertigen, er tut es seufzend, denn seiner Meinung nach beruhen die Vorwürfe auf "Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen". Eine politische Kampagne sei im Gange gegen seinen Tierpark und gegen ihn selbst. Schon die Wortwahl der Tierschützer sage doch alles.

Im Berliner Zoo lebt auch Deutschlands berühmtester Eisbär Knut - wenn auch in "Isolationshaft", wie das die Grünen-Abgeordnete Hämmerling formuliert. Mit seiner Geburt ist der Zoo schlagartig in den Blick einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Und wohl auch ins Visier der Tierschützer.

Frische Antilopen für die Löwen

Die Grünen-Politikerin ist in Berlin allerdings bekannt für öffentlichkeitswirksame Aktionen. Auch diesmal hat sie ihre Angriffe sofort mit politischen Forderungen verbunden: Die Zahl der Tiere in den Zoos der Stadt müsse drastisch reduziert werden. Dazu verlangt sie eine strenge Geburtenkontrolle für Zootiere; die "Massenproduktion" etwa von Elefanten müsse aufhören. Was so viel heißt wie: Verhütung hinter Gittern.

Bei dem Streit geht es um ein grundlegendes Problem fast aller Zoos in Deutschland. Bei erfolgreicher Züchtung werden jedes Jahr mehr Tiere geboren als in den Käfigen Platz haben. Einige können über den europäischen Zooverband ausgetauscht werden. Doch was passiert mit den überzähligen?

Viele Einrichtungen töten ihre Tiere heimlich, um dem Aufschrei der Tierschützer zu entgehen.Nur selten geht es so transparent zu wie im Nürnberger Tiergarten. "Wenn wir die Tiere nicht in gute Hände geben können, werden sie bei uns direkt getötet und verfüttert", sagt der stellvertretende Direktor, Helmut Mägdefrau. Das sei besser für die Tiere. Erst kürzlich habe man eine Antilope getötet und in das Löwengehege gelegt - vor den Augen aller Besucher. Bevor der Zoo ein Tier an Privatpersonen abgibt, lässt er sich eine Kopie der Haltungsgenehmigung und Fotos des Geheges per E-Mail schicken. "Eigentlich sollte das jeder so handhaben", sagt Mägdefrau.

Von Verhütung hinter Käfiggittern hält der Nürnberger Fachmann nichts. Denn kürzlich sind in Nürnberg drei Löwinnen an Krebs gestorben. Sie haben die hormonellen Implantate - ihre Anti-Baby-Pille - schlicht nicht vertragen.

© SZ vom 27.03.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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