Strafbarkeit bei Crystal:"Stoff für die Leistungsgesellschaft"

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Weil Crystal extrem süchtig macht und zu schweren Hirnschäden führen kann, befasst sich der BGH mit der Droge.

Interview: Claudia Fromme

Keine Droge wütet in den USA schlimmer als Methamphetamin. Mehr als 1,5 Millionen Amerikaner sind von dem Stoff, der wegen seiner kristallinen Form "Crystal" genannt wird, bereits abhängig. Der World Drug Report 2006 der UN warnte eindringlich vor einer Verbreitung in Europa.

"Stoff für die Leistungsgesellschaft": Suchtmediziner Roland Härtel-Petri warnt vor den Risiken von Crystal. (Foto: Foto: AP)

Nach Deutschland kommt Crystal vor allem über Osteuropa. An diesem Mittwoch überprüft der Bundesgerichtshof, ob die Strafbarkeit bei Crystal verschärft werden muss. Illegal ist die Droge ohnehin. Drohen bislang härtere Strafen erst ab 30 Gramm, berät der BGH nun, die Grenzwerte auf fünf Gramm zu senken, da das Suchtpotenzial höher ist als bei anderen Designerdrogen. Roland Härtel-Petri, Leiter der Suchtstation im Bezirkskrankenhaus Bayreuth, behandelt seit zehn Jahren Crystal-Abhängige.

SZ: Wird die Droge Methamphetamin unterschätzt, Herr Härtel-Petri?

Härtel-Petri: Ja, maßlos. Darum ist es gut, wenn sein Besitz und Verkauf strafrechtlich härter geahndet werden als der anderer Designerdrogen. Crystal ist von der chemischen Substanz her Ecstasy zwar ähnlich, hat aber ein viel höheres Suchtpotenzial. Es macht extrem schnell abhängig, oft bereits nach dem ersten Konsum. Man entwickelt schnell eine Toleranz, braucht immer mehr, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Der Konsum kann zu Hirninfarkten und Herzversagen führen, vor allem aber haben Abhängige Psychosen und Hirnschäden; da sterben ganze Areale ab. In dieser Beziehung ist es viel schlimmer als Crack und Heroin.

SZ: Aber kann ein Stoff eingedämmt werden, wenn härtere Strafen drohen?

Härtel-Petri: Ja, höhere Strafen werden den Stoff teurer machen, Preis und Verfügbarkeit sind ein sehr wichtiger Faktor für die Verbreitung. Dealer werden mehr dafür verlangen, dass sie die Droge besorgen, weil es risikoreicher ist. Das hat zur Folge, dass der Markt schrumpft.

SZ: Hat Deutschland wirklich ein Problem mit Crystal oder schrecken uns nur die Horrormeldungen aus den USA?

Härtel-Petri: Noch betrifft es nur Bayern, Thüringen und Sachsen. Das liegt an der Nähe zu Tschechien, wo die Labors sind, in denen Crystal aus Ephedrin gekocht wird, einem Wirkstoff in Hustenmitteln. Zunehmend kommt es aber wie Heroin über die Balkanroute herein. Es ist unwahrscheinlich, dass Deutschland vom weltweiten Trend zur Methamphetamin-Abhängigkeit ausgenommen bleibt. Im Internet gibt es mehr und mehr User-Berichte aus ganz Deutschland. Es gibt kaum Zahlen, da Methamphetamin in der Statistik bislang immer mit Amphetaminen wie Ecstasy zusammengefasst wurde; gesichert ist aber eine Zunahme seit zehn Jahren. Dass die beschlagnahmten Mengen gering sind, liegt auch daran, dass es ein extrem starkes Aufputschmittel ist: Ein Viertel Gramm hält 48 Stunden wach.

SZ: Methamphetamin gab es schon in den dreißiger Jahren als "Pervitin", Kampfpiloten haben sich im Krieg damit wachgehalten. Warum verbreitet es sich nun wieder unter dem Namen Crystal?

Härtel-Petri: Es kam Ende der 90er Jahre zu uns, aus denselben Labors wie Ecstasy. Ich habe gehofft, dass mit dem Ende der Technowelle auch Crystal verschwindet. Das war ein Trugschluss. Erst war es eine reine Jugenddroge, das ändert sich aber. Crystal ist der Stoff für die Leistungsgesellschaft. Auf meiner Station war ein Maler, Anfang 40, der stand so unter Arbeitsdruck, dass er Crystal genommen hat. Er malte Wochenenden durch - bis er kollabierte.

Eine Hausfrau sagte zu mir: Meine Wohnung ist nie so sauber, wie wenn ich Crystal nehme. Das ist das Tückische: Es geht alles leicht von der Hand, macht sogar Spaß. Crystal bringt die Zeittaktung im Hirn durcheinander. Patienten schrauben stundenlang Kugelschreiber auseinander, drücken Pickel aus, kratzen sich wund. Die merken nicht, wie viel Zeit vergeht. Der Leidensdruck ist erst da, wenn der Körper streikt. Crystal lässt einen innerhalb von Monaten um Jahre altern, der Körper verfällt, man hat Wortfindungsstörungen und Gedächtnisverluste.

SZ: Wie wirkt Methamphetamin?

Härtel-Petri: Es verstärkt extrem das Selbstwertgefühl, was oft in Aggressionen mündet. In der Forensik in Bayreuth gibt es schon viele Crystalgewalttäter. Bei Ecstasy berichten Patienten von einem Gemeinschaftsgefühl, bei Crystal geht es nur ums Ego. Die sexuelle Lust ist gesteigert, die Leute halten sich für unverwundbar. Die setzen sich ins Auto und fahren sich zu Tode. Die haben ungeschützten Sex, tauschen Nadeln und denken: Mir passiert nichts, ich bin kein Heroinjunkie. In Kalifornien ist es schon so, dass die Durchseuchungsrate mit HIV und Hepatitis C höher ist als bei Heroinabhängigen.

SZ: Wie erleben Sie Ihre Patienten auf der Suchtstation in Bayreuth?

Härtel-Petri: Crystal bietet ein Hochgefühl auf Pump. Der Körper verlässt sich auf den Reiz von außen und produziert keine Glückshormone mehr. Abhängige leiden ohne Crystal an Depressionen. Mehr als 40 Prozent unserer Patienten haben einen Selbstmordversuch hinter sich. Eine Umfrage unter 241 Ex-Patienten hat ergeben, dass dem Großteil nur die stationäre Behandlung geholfen hat. Anders kriegt man die Leute kaum weg von dem Zeug.

SZ: Könnte Crystal bei uns je so eine Massendroge werden wie in den USA?

Härtel-Petri: Es werden gute Gegenmaßnahmen getroffen. Die BGH-Verhandlung, die zustande gekommen ist, weil die Polizei gewarnt hat: Da ist ein Problem. Weil Toxikologen sagen: Crystal ist anders als Ecstasy. Es gibt eine Rezeptpflicht für Ephedrin, die in den USA an der Pharmalobby scheitert. Es gibt bei uns grenzübergreifende Polizeiarbeit. Ich hoffe, dass wir von der Welle verschont bleiben, sicher sein kann man aber nie.

© SZ vom 06.08.2008/imm - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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