Stadtarchiv-Unglück in Köln:Suche nach zweitem Vermissten

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In den Trümmern des Kölner Stadtarchivs wurde in der Nacht zum Sonntag ein 17-Jähriger tot geborgen. Fieberhaft sucht die Feuerwehr nun nach dem zweiten Vermissten.

Fünf Tagen nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs und zweier benachbarter Wohnhäuser ist am Sonntag die Leiche eines 17-Jährigen geborgen worden. Der Bäckerlehrling Kevin K. sei anhand seiner Fingerabdrücke identifiziert worden, sagte Kriminaldirektor Tobias Clauer am Sonntag.

Ein Bergungshelfer in den Trümmern: Kevin K. wohnte im Nachbarhaus und wollte sich von seiner Schicht ausruhen, als das Kölner Stadtarchiv zusammenbrach. (Foto: Foto: AP)

Von dem zweiten Vermissten, dem 24 Jahre alten Design-Studenten Khalil G., fehlte bis zum Abend noch jede Spur. Die Rettungskräfte wollten die Suche in der Nacht fortsetzen. Es bestand kaum Hoffnung, ihn lebend zu finden. Die beiden jungen Männer wohnten in einem der eingestürzten Häuser.

"Es wird ohne Pause Schutt abgetragen, teils mit Baggern, teils mit den Händen", sagte ein Feuerwehrsprecher. Spürhunde schlugen zwar zwischendurch an, aber die Ortung des Vermissten in dem Krater sei schwierig, sagte Feuerwehrchef Stephan Neuhoff. Die Ermittler gehen nicht davon aus, dass noch mehr Menschen verschüttet wurden. Es lägen keine weiteren Vermisstenmeldungen vor, sagte Clauer.

Die Leiche von Kevin K. hatte unter einer drei Meter dicken Schuttschicht unterhalb des Kellers des eingestürzten Gebäudes gelegen. "Zunächst ragte eine Hand aus den Trümmern, dann legten die Einsatzkräfte den Kopf, die Arme und den ganzen Leichnam frei", sagte ein Polizeisprecher.

Dem vorläufigen Obduktionsergebnis zufolge sei der Jugendliche durch die herabfallenden Trümmer sofort getötet worden, sagte Clauer. Kevin K. habe wahrscheinlich nach seiner Nachtschicht geschlafen, als das Haus einstürzte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach Angaben von Sprecher Günther Feld nun auch wegen fahrlässiger Tötung gegen Unbekannt.

Die Feuerwehr hatte erst am Freitag intensiv mit der Suche nach den beiden Vermissten beginnen können. Zuvor wäre das Betreten der Unglücksstelle für die Helfer zu gefährlich gewesen. Übriggebliebene Gebäudeteile drohten einzustürzen, und der Boden sackte immer wieder weg. Deshalb mussten zunächst Hausruinen abgerissen werden. In das Erdreich wurde massenhaft Beton gefüllt, um es zu stabilisieren.

Es wird angenommen, dass das Unglück im Zusammenhang mit dem umstrittenen Bau der U-Bahn steht. Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) stehen deshalb in der Kritik. Das Magazin Der Spiegel berichtete, Experten hätten bereits vor fünf Jahren die Bauarbeiten bemängelt.

In dem Gutachten, das nach dem Absacken eines Kirchturms im Jahr 2004 erstellt worden war, wurde demnach kritisiert, dass der "Stützdruck" beim Bau eines Versorgungstunnels zu niedrig gewesen sei, um die unterirdische Bohrstelle ausreichend zu stabilisieren. Neugegrabene Abschnitte seien nicht immer sofort mit einem schnellhärtenden Ring aus Bentonit umschlossen worden. Deshalb seien "bedienungsbedingte vermeidbare Auflockerungen und Hohlraumbildungen" im Erdreich entstanden.

Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete, die KVB und die Baufirmen hätten seit längerem von ernsten Problemen bei der Grundwasser- Ableitung gewusst. Bei einem Brunnen in der Nähe des Archivs habe sich der Wasserspiegel auch mit Hilfe starker Pumpen nicht senken lassen. Die Staatsanwaltschaft kündigte eine Prüfung der Vorwürfe und eine Untersuchung durch Gutachter an.

Die KVB wollte sich unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen nicht dazu äußern. Vorstandssprecher Jürgen Fenske entschuldigte sich am Sonntag aber öffentlich bei den Angehörigen der Opfer und anderen Geschädigten des Unglücks. Dies sei ihm ein persönliches Bedürfnis, unabhängig von Haftungsfragen.

Bislang hätten 42 unmittelbar Betroffene finanzielle Erstleistungen von je rund 10.000 Euro erhalten, sagte Fenske. Die Stadt Köln plant nach Angaben von Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) Anfang der übernächsten Woche eine Gedenkveranstaltung für die Opfer.

Neben der Suche nach Vermissten wurde am Sonntag auch die Bergung von Archivgut fortgesetzt. Aus dem Schutt gezogene Dokumente wurden in Kisten abtransportiert. Vieles ist nach Angaben der Stadt erstaunlich gut erhalten. Die Einsatzkräfte fanden unter anderem einen Stahlschrank mit einer Siegelsammlung. Außer mit Planen soll das Archivgut durch ein Notdach vor Regen geschützt werden. In zwei Tagen soll die etwa 50 Meter lange Dachkonstruktion fertig sein.

René Böll, Sohn des Schriftstellers Heinrich Böll (1917-1985), sagte, er erlebe es als "Katastrophe", dass bei dem Einsturz ein großer Teil des Nachlasses seines Vaters verschüttet worden sei. Erst vor drei Wochen hatte er die Fotos, Manuskripte und Briefe dem Historischen Archiv übergeben: "Dort glaubten wir sie nun am sichersten Ort überhaupt aufgehoben."

Insgesamt waren in der Nacht 200 Feuerwehrleute vor Ort, 20 davon suchten direkt an der Einsturzstelle. Zuvor hatten Einsturzgefahr und Regen die Bergungsarbeiten tagelang verzögert. Bei den beiden Männern handelt es sich um die Bewohner der Dachgeschosswohnungen neben dem Archiv.

Das Archiv und zwei angrenzende Häuser waren am Dienstag eingestürzt, vermutlich infolge des U-Bahn-Baus. Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) stehen deshalb in der Kritik. Das Magazin Der Spiegel berichtete am Samstag vorab, Experten hätten bereits vor fünf Jahren die Arbeiten beim Kölner U-Bahn-Bau bemängelt.

In dem Gutachten, das nach dem Absacken eines Kirchturms im Jahr 2004 erstellt worden war, wurde demnach kritisiert, dass der "Stützdruck" beim Bau eines Versorgungstunnels zu niedrig gewesen sei, um die unterirdische Bohrstelle ausreichend zu stabilisieren. Neu gegrabene Abschnitte seien nicht immer sofort mit einem schnellhärtenden Ring aus Bentonit umschlossen worden. Beim Führen der Maschinen seien "bedienungsbedingte vermeidbare Auflockerungen und Hohlraumbildungen" im Erdreich unter der Kölner Südstadt entstanden.

Der KVB-Vorstandssprecher Jürgen Fenske sagte dazu, das im Spiegel zitierte Gutachten habe immerhin dazu geführt, dass die Staatsanwaltschaft ihr Ermittlungsverfahren damals eingestellt habe. Im übrigen könne er zu einzelnen Vorwürfen nicht Stellung nehmen, da dies alles Gegenstand von Ermittlungen sei.

© dpa/AFP/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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