Sri Lanka:Flut verursacht das größte Bahnunglück aller Zeiten

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Als ihr Zug auf Sri Lanka von der Flutwelle erfasst wurde, hatten die meisten der 2000 Reisenden keine Chance zu entkommen. Nur etwa 150 sind bislang lebendig aufgefunden worden.

Die Signale an der Bahnstrecke stehen noch immer auf rot, dabei fährt schon längst kein Zug mehr.

Der letzte war der Express von Vavuniya nach Matara, 20 Kilometer vor der Stadt Galle erfassten ihn am 26. Dezember die Wellen und rissen ihn wie eine Spielzeugeisenbahn von den Gleisen.

Die Dimension der Naturkatastrophe in Asien hat das Zugunglück in Sri Lanka in den Hintergrund gerückt - dabei ist es die bei weitem größte Bahnkatastrophe aller Zeiten. Mehr als 1300 Leichen sind bis Montag geborgen worden, und jeden Tag werden es mehr. Viele liegen noch immer unter den umgestürzten Waggons und der Lokomotive.

Um 07.15 Uhr stieg Azmi Naym in Colombo in den Zug, drei Stunden später sollte sich sein Leben für immer verändert haben. Beim Ort Seenigama blieb die Bahn plötzlich stehen, "wir dachten, es habe sich jemand auf die Gleise geworfen", sagt der Juwelenhändler.

"Wie eine Streichholzschachtel umgeworfen"

Dann kam die erste Welle, sie war noch nicht so hoch. "Jeder sagte, bloß nicht nach draußen gehen, in ein paar Minuten geht es weiter." Doch nach einer Viertelstunde raste eine zweite Welle, "so hoch wie eine Kokosnusspalme", auf den Zug zu. "Jeder hat auf einmal gebetet."

Naym hatte bei der ersten Welle eine Waggontür geöffnet, in der Türöffnung war auf einmal der Himmel zu sehen. "Unser Waggon wurde wie eine Streichholzschachtel umgeworfen", sagt der 40-Jährige.

Ihm, einem weiteren Mann und einer Frau gelang es, sich nach draußen zu ziehen. Die anderen Passagiere des vollbesetzten Wagens, darunter viele Kinder, starben, die meisten ertranken. Naym blieb fast unverletzt, er schlug sich nach Galle zum Haus seiner Eltern durch. "Ich bin immer noch schockiert", sagt er.

Wie eine stählerne Faust trafen die Wellen den Zug, Waggons und Lokomotive liegen heute noch Dutzende Meter neben den verformten Gleisen. Manche Wagen wurden von ihren Gestellen gerissen. Das Wasser trug den Zug durch Häuser hindurch, kein Stein blieb auf dem anderen.

Eine Reisetasche wurde neben einen abgerissenen Stromzähler gespült, Kleider dümpeln im Brackwasser neben einem Kinderfahrrad. Bei einem der Waggons liegt ein Fotoalbum, daneben das gerahmte Bild eines stolzen Mannes, vielleicht stand es einmal in einem Schlafzimmer. Eine zerschmetterte Wanduhr zeigt 10.15 Uhr.

Zeugnisse verzweifelter Rettungsversuche

Die Wracks der Wagen legen Zeugnis ab von den verzweifelten Rettungsversuchen der Passagiere. Zwischen der Rückbank eines Sitzes und der Abteiltür in einem Wagen ist der Absatz eines Frauenschuhs eingeklemmt, die Menschen ließen alles stehen und liegen, als sie sich retten wollten. Kaum jemand hat es geschafft.

Unter einem umgekippten Waggon ragt eine ausgestreckte Hand heraus. Sie hat sich schwarz verfärbt, die Leiche konnte noch noch nicht geborgen werden. Die Soldaten, die mit einem einzigen Bagger hilflos versuchen, im Chaos aufzuräumen, tragen Atemschutzmasken. Der Gestank der Verwesung ist kaum auszuhalten.

Rund 2000 Menschen waren nach Schätzungen von Passagieren im Todeszug. Nur etwa 150 sind Angaben der Polizei bislang lebendig aufgefunden worden.

Immer noch kommen viele Angehörige auf der Suche nach ihren Liebsten ins Büro von B.P.B. Ayupala, dem Polizeichef der Region - dabei gibt es am Unfallort sicherlich keine Überlebenden mehr.

Ayupala war mit seinen Männern als einer der ersten nach dem Unglück vor Ort. "Überall lagen Leichen", sagt er. "Es war der schlimmste Anblick meines ganzen Lebens."

Eine endgültige Opferzahl der Bahnkatastrophe wird es wohl nie geben, möglicherweise wurden Leichen ins Meer gespült. Viele Angehörige werden mit der Ungewissheit leben müssen.

Die Aufräumarbeiten an der zerstörten Bahnstrecke werden Monate, wenn nicht Jahre dauern. Die einzige Zugverbindung vom Norden in den Süden Sri Lankas, eine der wichtigsten Lebenslinien des Landes, ist auf etlichen Kilometern zerstört. Die Signale auf der Strecke werden wohl noch lange auf rot stehen.

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