Spanien:Krippenfiguren lassen die Hose herunter

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Wer über den Adventsmarkt von Barcelona bummelt, stößt auf den Caganer - zu deutsch der Kacker. Die Stars in der weihnachtlichen Krippe sind in diesem Jahr Kronprinz Felipe und seine Gattin Letizia.

Von Sebastian Schoepp

In der Bibel fehlen Hinweise auf ihn, und doch ist nicht mal unwahrscheinlich, dass er existiert hat: Der Hirte am Stall von Bethlehem, den im Angesicht des großen Ereignisses vor Aufregung ein allzu menschliches Bedürfnis überkam. Bewahrt wird das Andenken an ihn zur Weihnachtszeit in einer einzigen Krippentradition der christlichen Welt: der katalanischen.

Die Stars unter den Caganers: Spaniens Kronprinz Felipe und seine Gattin Letizia. (Foto: Foto: www.amicsdelcaganer.org)

Wer auf dem Adventsmarkt vor der Kathedrale von Barcelona an den Ständen mit Krippenfiguren entlang bummelt, stößt auf den Caganer ("Kacker") in verschiedenster Form. Mal kunstvoll geschnitzt, im traditionellen Hirtengewand mit Zottelbart und Turban, schamhaft mit heruntergelassener Hose im Halbdunkeln hinter dem Stall von Bethlehem kauernd.

Am häufigsten tritt er in seiner folkloristischen Gestalt auf: als katalanischer Bauer in Hockstellung - mit Pfeife im Mund und der Barretina, einer roten Mütze, auf dem Haupt. Auch zeitgemäßere Varianten sieht man: Polizist, Arzt, Fischer, aber auch Mönch, Kardinal oder Teufel.

Die neueste Version aber - und offenbar schon die Stars unter den Caganers - sind Spaniens Kronprinz Felipe und seine Gattin Letizia. Die Krippenherstellerin Anna María Pla, die auf dem Adventsmarkt in Barcelona die royalen Figuren verkauft, stellt eines klar: Lustig wolle sie sich nicht über die Hochadligen machen. "Der Caganer ist eine liebenswerte Figur", sagt sie. Allein 600 Tonfiguren von Felipe und Letizia stellte sie in ihrer Werkstatt her.

Etwas überraschend ist auch der Caganer im Trikot des örtlichen Fußballvereins, des FC Barcelona. Die eigene, verehrungswürdige Mannschaft so zu verscheißern? Adelina Ferrer, die ebenfalls einen Stand auf dem Markt hat, blickt verständnislos und sagt: "Das ist doch keine Beleidigung! Der Caganer düngt die Erde, gibt ihr Fruchtbarkeit."

Psychologischere Interpretationen führen das Auftauchen des Caganer eher auf den sprichwörtlichen Merkantilismus der Katalanen zurück. "Selten hat Freuds Theorie über die anale Phase so starke Bestätigung gefunden", schreibt der australische Kunsthistoriker Robert Hughes in seinem Buch über Barcelona.

Freud hin oder her - Caganer sind begehrte Sammelobjekte. Das Spielzeugmuseum von Figueres in Nordkatalonien, sonst berühmt für sein Dalí-Museum, widmete ihm bereits eine Sonderausstellung. In Bäckereien findet man Caganers aus hellem Mürbeteig mit schokoladenbraunem Appendix.

Der Caganer gehört in Katalonien zu Weihnachten wie der Tio, der Onkel: eine Holzpuppe, auf die die Kinder dann am 6. Januar mit Stöcken einprügeln und dabei "Kack, Onkel, kack" rufen, bis aus einer Öffnung die Geschenke purzeln - zumeist aus Schokolade. Diese Vorliebe hat auch in der Literatur Niederschlag gefunden: Der katalanische Dichter und Geistliche Francesc Vicenc García (1580 bis 1623) beschrieb Exkremente als "Zeichen unserer wahren Natur", als Steine der Weisen.

© SZ vom 23.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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