Spanien:Der wahre Schrecken der Toreros

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Stellen Sie sich vor, es ist Stierkampf und keiner geht hin. Beim weltgrößten Stierkampffestival lassen bis Sonntag in Madrid 138 Tiere ihr Leben - doch in Spanien sinkt die Lust an dem Spektakel.

Von Peter Burghardt

Für Sergio Serrano war der Jungstier aus dem Stall El Ventorillo gefährlich genug. Das 495 Kilogramm schwere Tier mit Namen Adoptivo hob ihn am Montagabend mit seinen Hörnern aus dem gelben Sand der Arena "Las Ventas" von Madrid und schleuderte ihn zwei Meter hoch durch die Luft.

Zwei Meter hoch in die Luft schleuderte der Stier Sergio Serrano. (Foto: Foto: dpa)

Wie nach einer Zirkusnummer kam Serrano wieder unten an, Hände voraus.

Er konnte froh sein, dass die Landung keine schlimmen Folgen hatte. Sichtbare Schäden hatte nur seine goldbestickte, blaue Hose, während seinem Gegner schon dunkelrotes Blut über den mit Lanzen zerfetzten Rücken lief. Der mäßig bekannte Torero war trotz der unvorhergesehenen Attacke noch beweglich genug, um das Duell mit einem tödlichen Degenstich in den Nacken des Stieres zu beenden.

Die 20000 Zuschauer klatschten, und der Kritiker von El Mundo hätte Serrano mit einem Ohr seines Opfers belohnt. Dem Präsidenten von Las Ventas, der oben auf den Rängen thront und über solche Prämien wacht, war die Leistung des Stiertöters indes zu wenig. Schließlich ist man bei der "Feria de San Isidro", dem wichtigsten Stierkampf-Festival der Welt, das vier Wochen lang ein eigenwilliges Publikum unterhält und einen eigenwilligen Status verteidigt.

Das mit den Ohren ist eine ewige Polemik, die Trophäen werden gar zu Ranglisten summiert. Dem Magazin 6 Toros 6 zufolge war Tabellenführer zuletzt der Star mit dem Künstlernamen El Fandi, er erbeutete 2005 bei 20 Auftritten 44 Stierohren sowie einen Stierschwanz.

Die ernstere Debatte dreht sich traditionell um die massakrierten Stiere, und hinter allem steckt ein großes, aber wackliges Geschäft. Jahr für Jahr fürchten die Verteidiger des blutigen Spektakels, Tierschützer und Desinteressierte könnten sich doch irgendwann durchsetzen. Barcelona hat sich bereits zur stierkampflosen Stadt erklärt.

Lammfromme Stiere

Immerhin geht es um einen geschätzten Milliardenumsatz, genaue Zahlen sind in der geheimnisumwobenen Branche kaum zu ermitteln. Allein in Las Ventas finden jährlich 80 Corridas statt, 23 davon bei San Isidro, 2004 blieben fast 18 Millionen Euro Gewinn. Alles in allem besuchen das Rund im günstigen Fall bis zu 1,8 Millionen Menschen, Real Madrid zählt in einer guten Saison nicht viel mehr. Zeitungen, Fernsehen und Radio berichten. Doch immer mehr Spanier wollen davon immer weniger wissen.

José Antonio Martinez Franga, 71 Jahre alt und neuer Pächter von Las Ventas, plant daher allen Ernstes Werbeveranstaltungen in Schulen und Universitäten, um "junge Leute" zu gewinnen. Er gelobt: "Ich werde das Prestige des Stieres erhalten, das schulde ich den Fans."

Das wiederum bezweifeln Experten, die einen allgemeinen Sittenverfall beklagen. Der Sachverständige von El Pais war entsetzt von den übrigen Stieren des Züchters El Ventorillo. "Eine Schande" seien die ersten beiden Stiere gewesen, "unterwürfige Schäfchen" und der Plaza nicht angemessen, schrieb Antonio Lorca.

Belador, die Legende

"Klein, sanft, aus Baumwolle" stand über seinem Verriss, die Texte sind derzeit täglich am Ende des Kulturteils zu finden. Auch eine Leserbriefschreiberin echauffierte sich über die Stiere, deren Auswahl wie immer die Madrider Landesregierung abgesegnet hat.

Was sollten Maestros wie El Juli, Uceda Leal oder Enrique Ponce mit solchen Invaliden, die sich kaum auf den Beinen hielten, schimpfte die Dame, die Betrug witterte. Um raffgierige Unternehmer und eine dekadente Show wird immer schon gezankt, bereits Hemingway sorgte sich vor sechs Jahrzehnten um den Niedergang der Stierkampfkultur. Die Jammerei ist Teil einer Abwehrschlacht.

Besonders tapfere Stiere können theoretisch begnadigt werden, doch das hat in Las Ventas bisher nur einer geschafft: die Legende Belador im Juli 1982. Bei der "Feria de San Isidro" 2005 sterben bis zum Wochenende 138 Stiere, darunter der wackere Adoptivo. Ob es ein ehrenvoller Tod ist, bleibt Ansichtssache.

© SZ vom 1.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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