Sommerloch 1983:Der grüne Grabscher

Lesezeit: 1 min

Sommerpause im Bundestag: Kanzler Kohl urlaubt am Wolfgangssee, im Bundeshaus sind die Flure leer, das Plenum verwaist. Die Grünen-Fraktion tobt. Warum?

Johannes Honsell

Der Bundestag ist so leer im Sommer 1983. Die Korridore sind verwaist, die Gesetze verräumt - das Herz unserer Demokratie, es pocht nur leise. Einsam wacht der Grünen-Abgeordnete Klaus Hecker und sehnt sich nach dem Herbst, wenn die Gesetzesblätter wieder fallen. Dabei wird er so wehmütig, dass er ein paar Fraktionskolleginnen an die Brüste langt. Um den Schmerz zu lindern.

(Foto: Foto: iStock)

"Neun von zehn Frauen wollten das doch so", verteidigt sich Hecker, bezeichnet seine Tat aber immerhin als "unmöglich". Den weiblichen Fraktionskolleginnen erklärt er sein Verhalten in einem offenen Brief als "Ausdruck von Verlassensein und den Versuch, sich Menschen näher zu bringen."

Die Grünen-Fraktion tobt. Korrektur: Ihr weiblicher Teil tobt. Gerade sind sie in den Bundestag eingezogen und angetreten, den CDU-Abgeordneten die Zoten auszutreiben, da kommt ein bärtiger Ingenieur aus den eigenen Reihen und langt den Grünen von hinten ans Prinzip.

Ein schwarzer Tag für die Partei, ganze Wälder sterben aus Protest. Selbst Franz Josef Strauss ist so erschüttert, dass er der DDR einen Milliardenkredit verschafft, was ihn wiederum sehr einsam macht. Denn die Seinen hassen ihn dafür und treten massenhaft aus der CSU aus. Beim Parteitag bekommt der Ober-Bayer nur 77 Prozent, im Land der Politbüroquoten ist das wie Palastrevolte.

Der Gewatschte sucht Trost bei Erich Honecker, den er "privat" am Werbellinsee trifft. Danach spekuliert mancher sogar über eine baldige Moskaureise des neuroten Franz Josef. Die unternimmt dann aber doch Kanzler Helmut Kohl, der sich im übrigen in allem hinter Strauss stellt. Vielleicht auch um sich dort vor der dräuenden Flick-Affäre zu verstecken. Später in diesem Sommer taucht Kohl ganz ab, wie immer im Wolfgangsee.

Dem Busen-Grabscher Hecker legt die Grünen-Fraktion im August basisdemokratisch nahe, sich freiwillig zum Rücktritt zu entschließen. Die Frauengruppe in der Fraktion will möglichst bald eine Dokumentation über "Fälle sexueller Ausbeutung am Arbeitsplatz" vorlegen. Hecker entschließt sich zu gehen.

Dann kommt der Herbst. Die Korridore des Bundestags bevölkern sich, der politische Trubel kehrt zurück. Nur das Büro des Klaus Hecker, einst so voller Leben, bleibt einsam und verwaist.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: