Sommerloch 1999:Menschen mit Barbie-Fingern

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Es herrscht weltweite Grabesstimmung, die Menschen verbergen sich hinter sonderbaren Brillen und Barbie wird in menschliche Körperteile eingearbeitet. Irgendwie gruselig, der Sommer 1999.

Sarina Märschel

Das Jahrtausend war kurz davor, den Abgang zu machen. Das spürte man im Sommer 1999 schon ganz deutlich. Das kommende Ende machte die Leute wehmütig und irgendwie auch komisch. So meldete die SZ, dass der leidenschaftliche Sarg-Bewohner Geoff Smith entschieden hatte, sich zur Feier des Jahreswechsels eine Woche lang lebendig begraben zu lassen.

Der dreifache Familienvater hatte übrigens kurz zuvor seine Mutter als Rekordhalterin im Lebendig-begraben-Sein abgelöst, nachdem er 147 Tage in einem 2,10 Meter mal 70 cm großen Behältnis geblieben war.

Die Dunkelheit konnte ihn wohl nicht sonderlich aus der Ruhe bringen. Ganz aus dem Häuschen waren hingegen viele Menschen, als es im August 1999 finster wurde: Sie hielten sich lustige kleine Brillen und rußgeschwärzte Scheiben vor die Nase und bewunderten die letzte totale Sonnenfinsternis des Jahrtausends. Manche guckten nicht nur auf Sonne, Mond und Sterne, sondern flogen gleich hin. Oder schlugen zumindest mal die Richtung ein: Astronauten, Briefe, Bonsai-Bäumchen.

Eine ganz neue Zeit

Zunächst hatte die Deutsche Post die Idee, mit einer Rakete 2000 Briefe ins All zu schießen. Je nach Wunsch des Absenders sollten die Briefe für ewig im All bleiben oder in einem Container mit Fallschirm wieder zur Erde fliegen. Die Brief-Rakete sollte nach dem Willen des Post-Marketing-Chefs eine "ganz neue Zeit" einläuten. Worin sich die neue von der alten Zeit unterscheiden sollte, blieb unklar.

So versorgte das Unternehmen im Sommer alle deutschen Haushalte mit Faltpostkarten, auf denen die Leute ihre "Botschaft für das neue Jahrtausend" vermerken konnten. Aus allen eingesandten Nachrichten wurden 2000 ausgewählt und schließlich mit zweiwöchiger Verspätung an Bord einer brasilianischen Forschungsrakete in den Weltraum geschossen.

Pünktlicher wären die Briefe eventuell ins All gekommen, wenn sie eine andere Mitfahrgelegenheit genutzt hätten: Die Kosmonauten der Mir hätten als Postboten einspringen können. Leider waren die aber zu beschäftigt - und zwar mit der Pflege ihres All-Bonsais. "Mit großer Hingabe pflegen Kosmo- und Astronauten das Bäumchen im Einmachglas", schrieb die SZ. Das Pflänzchen, glaubten Psychologen, stabilisierte das Seelenleben der Weltraumfahrer.

Psychologen fanden in diesem Sommer auch heraus, dass Stierkampf-Besuche für seelisch gesunde Kinder gefahrlos sind. Eine große Erkenntnis hatte auch eine Medizinerin, die wir an dieser Stelle Barbie-Forscherin nennen dürfen: Sie fand heraus, dass das Kniegelenk der wohlgeformten blonden Puppe sich bestens als Fingerprothese eignet. Schon zwölf Patienten konnten im Sommer 1999 dank Barbie wieder einen Stift mit ihren künstlichen Fingern halten, berichtete die Ärztin. Das Puppenknie sei nämlich biegsamer als herkömmliche Prothesen.

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