Sommerloch 1994:Schießbefehl gegen Sammy im Baggersee

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Sommer 1994: Bei Dormagen verschwindet ein "Killer-Kaiman" im Baggerloch - und die Polizei blamiert sich. Sammy Superstar kommt am Ende in den Zoo.

Johannes Hosell

Es war Sommerloch-Endzeit. Ein Jahrhundertsommer grillte die Deutschen von Juni bis Ende August, gigantische Kometenteile krachten auf den Jupiter, und aus allen Löchern krochen Nessies Erben.

So gefährlich wie ein Dackel, aber vom Boulevard zum "Killer-Kaiman" hochgejazzt: Sammy (Foto: Foto: AP)

Das Seelöwenpärchen Otto und Cäsar nahm ein Bad im Lago Maggiore, eine namenlose Tsukinowaguma-Bärin jagte in der Innenstadt von Hiroshima Polizisten. Der Braunbär Nurmi wanderte eigens aus Slowenien nach Österreich, zum sommerlichen Schafe-Reißen und Bienenstock-Plündern. Bei Nurmi kam es sogar zu einem richtigen Bären-Ballyhoo à la Bruno: Landwirte gingen auf Treibjagd, Tierschützer weinten.

Kein Schadbär, trotzdem abgeknallt

Der bärige Auftrieb endete im Herbst, als ein Jäger das zutrauliche Tier einfach abknallte. Das heißt, vielleicht war es auch der viel harmlosere Bär Petzi, der dem Jäger vor die Flinte lief. "Petzi" hielt sich laut WWF auch in der Gegend auf und fraß bloß Wurzeln. Die Identität des Jägers hielt man so oder so vorsichtshalber geheim, aus Angst vor Racheakten militanter Tierschützer.

Nurmi hätte das Zeug gehabt zum Sommerlochklassiker, doch ein anderes Tier stahl ihm die Show: Das "Ungeheuer von Loch Neuss", die "Bestie von Dormagen": Sammy, der "Killer-Kaiman".

Der war seinem Besitzer von der Hundeleine gegangen und hatte sich im Baggersee von Dormagen verschanzt. Der etwa einen Meter lange Alligator war laut Reptilienfachmann "so gefährlich wie ein Dackel", aber in der dürren Nachrichtenzeit reichte das schon zum Killer. Der See wurde evakuiert, die Polizei schnallte die Nachtsichtgeräte auf und entsicherte die Jagdgewehre.

Den Häschern entwischt

Fast eine Woche entwischte Sammy seinen Häschern, im Lande und bei der Presse stieg die Empathie. "Sammy, bitte melde Dich", flehte der Kölner Express, "Sammy darf nicht sterben", appellierte Bild. Die taz widmete ihm sogar ihr Porträt ("Die ausgebüchste Handtasche"). Auch die "Tagesthemen" der ARD berichteten. Sammy Superstar.

Gottlob, das Drama endete friedlich. Ein todesmutiger Rettungsschwimmer schnappte den Kaiman mit bloßer Hand, was allerdings dadurch erleichtert wurde, dass der nachtsüber auf kühlem Seengrunde quasi festgefroren war. Bild jubilierte ("Um 15.43 wurde der Schießbefehl aufgehoben"), die örtliche Polizei grämte sich ("stehen nicht gerade als Helden da"), und Sammy kam in einen Zoo.

Hoch droben im All schlüpften derweil an Bord der Columbia zwei rotbäuchige Wassermolche und drei japanische Goldfische und erhöhten den Tierbestand an Bord auf knapp 12.000 (SZ: "Quallen, Seeigel, Fruchtfliegen, Wasserinsekten"). Die Nasa behauptete, der Weltraum-Zoo sei ein Experiment, um die Wirkung der Schwerelosigkeit zu testen.

Vielleicht aber war das Schiff auch eine Art Space-Arche Noah, die wenigstens ein paar retten sollte, während unten Cäsar, Nurmi, Sammy und all die anderen baggerseetief im Sommerloch versanken.

Und während das Schiff immer höher stieg, hin zu Glück und Neubeginn, saß auf dem Grunde eines schottischen Sees eine sehr alte Seeschlange und weinte leise zum Abschied.

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