Fast hätten im Jahr 1984 all die schönen Sommerloch-Geschichten nicht gedruckt werden können, weil die IG Druck und Papier im Frühsommer 13 Wochen streikte.
Aber Anfang Juli bekam die Gewerkschaft ihre 35-Stunden-Woche, und die SZ und andere Zeitungen konnten wieder Meldungen bringen wie jene vom Penis im Wattenmeer.
Der Oldenburger Aktionskünstler Eckart Grenzer hatte den 3,20-Meter-Phallus aus schwedischem Granit in der Nähe des Nordseebads Dangast ans Meer gestellt. "Das Wasser ist das weibliche Element, der Stein das männliche, die Begattung findet alle zwölf Stunden statt", erklärte der Künstler.
Watt'n Porno. Keineswegs, beteuerte der Künstler, die Skulptur sei vielmehr eine "tiefe, erotische Angelegenheit", die beweisen solle, "wie sensibel die Natur ist."
Das war gar nicht nötig, denn die Natur bewies fortwährend, wie sensibel sie ist: Bäume starben, Gewässer kippten. Zu allem Überfluss beschloss die Bundesregierung Ende Juli auch noch, das 350-Megawatt-Kohlekraftwerk Buschhaus ans Netz gehen zu lassen - ganz ohne reinigende Entschwefelungsanlage.
Weil die Regierung Kohl dabei ähnlich plump vorging wie bei den Verhandlungen mit der DDR um Besuchsregelungen, wurden die Zeitungen grantig. Die Welt wetterte: "Auf wessen Ratschläge hört Kohl überhaupt?" Die SZ schrieb vom "Mittelmaß an der Macht".
Das sah auch Genosse Erich Honecker so, weil er am Ende des Sommers zum gefühlten hundertsten Mal seinen so ersehnten ersten Besuch der westedeutschen Bundesrepublik absagen musste. Der Stil der Diskussion um seinen Besuch sei "äußerst fragwürdig" und im Verkehr zwischen souveränen Staaten "absolut unüblich".
Das Links-Magazin Konkret montierte daraufhin Kohls und Honeckers Köpfe auf die Körper eines Brautpaares und witzelte über die "Beziehungskiste" von "Helmut und Erika".
Dann war der Sommer auch schon fast wieder vorbei. Ronald Reagan kündigte in einer Radioansprache an, er werde in fünf Minuten die UdSSR bombardieren lassen - der US-Präsident dachte bei der Sprechprobe, das Mikro sei ausgeschaltet. In Los Angeles fand Olympia statt, nach dem "Wie du mir so ich dir- Prinzip": Ost kam nicht, weil West 1980 nicht nach Moskau gekommen war. In München zerbeulten tennisballgroße Hagelkörner Autos und Dächer.
Im friesischen Dangast gewöhnte man sich derweil an den Penis. Als Radlständer und Windschutz wurde er unter anderem zweckentfremdet, nach ein paar Monaten war er vom Strand nicht mehr wegzudenken. Abends aber, wenn alle gegangen waren, gehörte er allein dem Meer.