Sommerloch 1972:Die deutsche Sexwelle

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Ende August beginnen in München die Olympischen Spiele. Davor geht es im Sommer 1972 um viel nackte Haut: Die Bundesrepublik schwelgt im FKK-Fieber und der Playboy bringt seine erste Deutschland-Ausgabe auf den Markt.

Beate Wild

Aus der Tourismusbranche vermeldete man im Juli 1972 freudige Nachrichten: "Für FKK-Urlauber wächst das Angebot." Und die SZ titelte: "Den Nackten wird in die Tasche gegriffen." Nacktbaden war 1972 nun auch beim westdeutschen Normalbürger angekommen und nicht mehr nur den Hippies vorbehalten. Vor allem im ehemaligen Jugoslawien und auf Korsika schossen die textilfreien Badezentren aus dem Boden - und zockten die deutschen Urlauber mit saftigen Preisen kräftig ab.

Damals noch recht züchtig: Die erste Deutschland-Ausgabe des "Playboy". (Foto: Foto: ap)

Auf der nackten Welle ritten kleine Reisebüros genauso wie großen Veranstalter. Man witterte das große Geschäft und hat auch Besonderes für die FKK-Anhänger im Angebot - wie etwa Nackt-Kreuzfahrten.

Männerphantasien auf Deutsch

Im August 1972 kam dann endlich ein Magazin auf den deutschen Markt, ohne dass sich viele Männer ihr Leben anscheinend gar nicht mehr vorstellen können: Der Playboy brachte seine erste Deutschland-Ausgabe heraus - und die ganze Bundesrepublik diskutierte darüber. Die Rede war von einer "polyglotten Playboy-Expansion", vom amerikanischen "way of life", von der "deutschen Sexwelle" und von Hugh Hefners Vorstellungen, wie Männer unterhalten sein wollen.

Im ersten Heft wurden 32 schöne Münchnerinnen gezeigt, die aus 400 Bewerberinnen ausgewählt wurden. Der Text dazu erklärte das mit Sehnsüchten und Liebeserklärungen überfrachtete München ("heimliche Hauptstadt") auch noch zur Hauptstadt der Libertinage: "Noch über der letzten Junggesellen-Liege und über dem nüchternsten Schreibtisch scheint in München die Sonne des Leichtsinns."

Karl Schiller steigt aus dem Kabinett aus

Am 7. Juli 1972 legte Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) sein Amt nieder, um gegen die von Bundeskanzler Willy Brandt getroffenen wirtschaftspolitischen Entscheidungen zu protestieren. Während seiner Zeit im Kabinett der Großen Koalition (1966-1969) hatte Schiller erfolgreich mit dem CSU-Finanzminister Franz Josef Strauß zusammen gearbeitet. Die Querelen um Schillers Rücktritt und sein Streit mit Brandt beherrschten wochenlang die Titelseiten der Zeitungen.

High-Tech-Olympia

Ein beliebtes Thema im Sommer 1972 waren natürlich auch die bevorstehenden Olympischen Spiele. Die Deutschen fieberten mit und freuten sich - bevor dann die Sportveranstaltung durch das Massaker der palästinensischen Terrorgruppe im September zur Tragödie wurde.

Die legendäre olympische Flamme machte sich am 30. Juli von Athen aus auf den Weg nach München. Erster Läufer war der 19-jährige griechische Basketballspieler John Kirkilessis.

In der Öffentlichkeit gefeiert wurde vor allem das neue Olympiastadion wegen seiner High-Tech-Ausstattung. Die Rede war von einem "Festival der Computer". "Die Technik wird bei der Durchführung des zweiwöchigen Mammutsportfestes an der Isar in einem Umfang eingesetzt, der keine Vergleiche zu anderen Großveranstaltungen zulässt", schrieb die SZ.

Anfang August trafen dann die ersten Athleten in Deutschland ein. Bunte Geschichten aus dem olympischen Dorf erfreuten die Leser - etwa über den jamaikanischen Sprinter Mike Frey, der als Erster im Olympiasee badete.

Alphornbläser und Goaßlschnalzer zur Eröffnung

Auch über die Eröffnungszeremonie zu den Olympischen Spielen wurde im Vorfeld lebhaft diskutiert. Auf dem Programm standen Alphornbläser, Goaßlschnalzer, Trachtengruppen und Volkslieder, was nicht bei allen gut ankam und einigen zu provinziell und bayerisch war. Kommt einem irgendwie bekannt vor, oder? Regisseur Christian Stückl hatte im vergangenen Jahr bei seiner Inszenierung der WM-Eröffnung ein ähnliches Programm und mit der gleichen Kritik zu kämpfen. Letztendlich kam dann aber die Feier, die am 28. August 1972 die Spiele an der Isar eröffnete, sehr gut an beim Publikum in aller Welt.

Längere Ladenöffnungszeiten? Nie!

Massiven Streit zwischen dem Münchner Einzelhandel und den Gewerkschaften gab es wegen der Ausweitung der Ladenöffnungszeiten während der Spiele. Die Mehrarbeitszeit sei dem Verkaufspersonal nicht zuzumuten, argumentierten die Arbeitnehmervertreter. Der Einzelhandel hingegen appellierte an die Pflicht zur Gastfreundschaft. Eine Einigung erzielte man nicht, also blieb alles beim Alten. Die Öffnungszeiten sollten übrigens wochentags auf 20 Uhr und samstags auf 18 Uhr verlängert werden.

Soldaten als Küchenhilfen

Im Olympia-Jahr war zudem der Bundeswehreinsatz im Inneren kein Tabuthema: Knapp 25.000 Soldaten wurden abgestellt, um als Organisations- und Küchenhilfen einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. "Nur der Vorschmecker kommt von Kempinski", titelte die SZ. Die Bundeswehr sehe in ihrer Unterstützung eine Chance zur Selbstdarstellung, hieß es. Und ohne die soldatische Hilfe wäre es für das Olympische Komitee nicht zu schaffen gewesen.

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