Sommerloch 1971:Ein bisschen Herbst

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Große Verbrechen und kleine Vergehen prägen den Sommer 1971. Während der Deutsche Herbst seine Schatten voraus wirft, soll ein Model die deutschen Temposünder besänftigen.

Johannes Kuhn

Die Kämpfe um die Sexualmoral der Deutschen sind 1971 ausgefochten. Was bleibt, ist der politische Kampf. Den bestreitet die Baader-Meinhoff-Gruppe erstmals mit terroristischen Mitteln.

Das "Konzept Stadtguerilla" und die Folgen: Am 15. Juli 1970 wird bei der Großfahndung nach der RAF die 20-jährige Petra Schelm erschossen. Die erste Tote im Konflikt zwischen der RAF und dem deutschen Staat. (Foto: Foto: AP)

Im Sommer 1971 fordert das "Konzept Stadtguerilla", das dem Staat den bewaffneten Krieg erklärt, das erste Opfer: Am 15. Juli wird bei der Großfahndung nach der RAF das Mitglied Petra Schelm erschossen. Die gelernte Frisörin wird nur 20 Jahre alt.

Verbrechen werden zum Markenzeichen des Jahres 1971. Es ist der Sommer der Banküberfälle. In München wird dabei erstmals in Deutschland eine Geisel genommen. Bei dem Schußwechsel sterben die Geisel und ein Mittäter. Auch in Berlin, Speyer und Stade erbeuten Bankräuber fünfstellige Summen.

Selbst bei den Hippies ist von der Friedfertigkeit der Sechziger in manchen Fällen wenig übriggeblieben. So halten 300 Blumenkinder ein Herrenhaus in Santa Eulalia auf Ibiza besetzt.

Als die Nachbarn die Polizei rufen, weil die ungebetenen Gäste Obst von ihren Bäumen klauen, in Brunnen pinkeln und ein protestierendes Mädchen verprügeln, wird die Kommune geräumt. 50 Störenfriede werden verhaftet und direkt mit dem Postschiff in das Gefängnis von Palma verfrachtet.

Dass sich das Klima geändert hat, müssen auch die englischen Akademiker feststellen. Nach den Partysommern der Endsechziger macht sich plötzlich Zukunftsangst breit. Einer Studie des britischen Erziehungsministeriums zufolge finden zehn bis 30 Prozent der Studenten nach ihrem Abschluss keine Arbeit. Der Vorschlag des Ministeriums lautet: Geld sparen - und zwar drastisch. Ausgaben für Doktoranten oder für Mädchen, die studieren wollen, seien hinausgeworfenes Geld.

Gegen die kleinen Delikte des Alltags geht Verkehrsminister Horst-Ludwig Riemer (FDP) vor. Um Autofahrer vom Rasen abzuhalten, verpflichtet sein Ministerium das blonde Model Gigi Nagel. Die 27-Jährige, die eher zu den Braven ihrer Zunft zählt, wirbt mit Slogans wie "Herz ist Trumpf" für weniger Geschwindigkeit. Vor allem auf Männer, die Riemer zufolge "die Kriterien der Leistungsgesellschaft bruchlos auf die Straße übertragen", soll die Kampagne mit der blonden Schönheit besänftigend einwirken.

Was für uns heute an Körperverletzung grenzt, ist 1971 der Spaß des Sommers: Ostfriesenwitze sind der Renner der Saison. Spiegel, Stern und Zeit beschäftigen sich mit dem neuen Phänomen und scheuen sich nicht, Angriffe auf den guten Geschmack abzudrucken. Ein Beispiel: "Wie melken die Ostfriesen eine Kuh? - Ganz einfach, vier Männer heben die Kuh rauf und runter, und einer hält das Euter fest."

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