Sommerloch 1969:Große Schritte, nackte Tatsachen

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Ein kleiner Schritt für einen Menschen, eine Kraterlandschaft in München und die Angst vor dem Aufklärungsatlas. Für die passende Erotik anno '69 sorgen brennende BHs.

Johannes Kuhn

Wer den Sommer 1969 erlebt hat, erinnert sich wahrscheinlich noch genau, was am frühen Morgen des 21. Juli geschah. An diesem Montag um 3:56 Uhr deutscher Zeit blickt die Welt gebannt auf den Fernseher - Neil Armstrong betritt als erster Mensch den Mond.

Am 21. Juli 1969 hinterlassen die ersten Menschen ihre Fußspuren auf dem Mond. Oder doch nur in der Dekoration eines Fernsehstudios, wie Verschwörungstheoretiker glauben? (Foto: Foto: AP)

Während Armstrong so zur Legende wird, müssen sich seine Kollegen Edwin Aldrin (für den es nur zum Titel "zweiter Mensch auf dem Mond" reichte) und Michael Collins (der währenddessen mit der Kommandokapsel Warterunden im Mondorbit fliegen musste) mit etwas weniger Ruhm begnügen.

Die Mondlandung ist ein Moment für die Geschichtsbücher, das Woodstock-Festival wird für eine Generation zu einem Wochenende für die Ewigkeit. Musik, Drogen, Schlamm und freie Liebe lassen für wenige Tage den Traum der absoluten Freiheit real werden - die Geburt eines Mythos aus dem Geiste der Unbeschwertheit.

In München packt man im Sommer 1969 an, auch wenn das Münchner Oberwiesenfeld in diesen Monaten durchaus Ähnlichkeiten mit einer Mondlandschaft aufweist. Dort wird im Juli 1969 der Grundstein für die Olympiasportstätten gelegt. Drei Jahre vor dem Beginn der Spiele geht es nicht so sehr um Sport, sondern um Geld: So toben wochenlang Streitereien über das teure Dach des Olympiastadions, während die Mitarbeiter der Olympiabaugesellschaft dem ersten Spatenstich demonstrativ fernbleiben, weil sie sich unterbezahlt fühlen.

Wie in den Sechzigern üblich, spielen Sex und Moral wieder eine tragende Rolle in den Sommerdiskussionen. Besonders konservativ zeigen sich hierbei die rheinland-pfälzischen Behörden. So empört sich Kultusminister Bernhard Vogel über den "Sexualkunde-Atlas", den SPD-Bundesgesundheitsministerin Käte Strobel bundesweit als Standardwerk an den Schulen einführen möchte.

Damit steht er aber nicht alleine da: Kirchliche Vertreter kritisieren die "Selbstverständlichkeit", mit denen sexuelle Handlungen dargestellt würden und selbst Liberale wie die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher würden nach eigener Aussage das Buch "meiner 14-jährigen Tochter nicht in die Hand geben."

Auch das größte deutsche Touristikunternehmen "Touropa" bekommt kräftigen moralischen Gegenwind aus Rheinland-Pfalz. Der FKK-Sonderprospekt "Nahtlos braun werden", in dem laut SZ "ein halbes Dutzend Brust- und Popobilder - überwiegend im Briefmarkenformat" zu sehen sind, wird vom Sozialministerium des Landes als jugendgefährdende Schrift eingestuft. In den Reisebüros ist das Heftchen deshalb nur noch unter dem Ladentisch erhältlich.

Ein Glück, dass die Jugendschützer nicht nach Kalifornien blicken, wo man wie immer etwas weiter ist: Dort findet der erste "Anti-BH-Tag" statt. Auf einem Campus verbrennen Hunderte Studentinnen ihre BHs, aus dem ganzen Land schicken junge Frauen ihre Büstenhalter, um für die Befreiung des weiblichen Körpers zu kämpfen. Gouverneur Ronald Reagan hat für diesen Ungehorsam nur wenig übrig. Die Studenten von Berkeley, sagt er einmal, "ziehen sich an wie Tarzan, sehen aus wie Jane und riechen wie Cheetah".

Vom Sex im Jahr 2000 sprechen die Zukunftsforscher auf der Hamburger Schau "Du und Deine Welt" nicht. Immerhin ahnen sie aber bereits, dass der Computer 31 Jahre später eine tragende Rolle im Leben der Menschen spielen wird. "Ein neuartiger Heimcomputer bewährt sich als Gegner im Würfel- oder Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel", lautet eine Prophezeiung. Knapp daneben liegen sie mit der Voraussage, die Deutschen würden nur noch 35 Stunden in der Woche arbeiten und deshalb interessante neue Freizeitideen entdecken - zum Beispiel die "lukrative Heimfischzucht mit Amazonas-Buntbarschen".

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