Sommerloch 1959:Als die Milch knapp wurde

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Große Hitze plagt Ost und West und führt zu einem tierischen Deal mit der DDR. Heinrich Lübke wird Bundespräsident - und hadert sofort mit Amt und Sprache. Der Sommer 1959.

Johannes Honsell

Eigentlich lautet die Sommerloch-Gleichung: Je größer die Hitze, desto größer das Loch. Bestes Indiz ist, wenn die Medien nur noch über die Hitze berichten. 1959 aber war anders.

Wer hat bei dieser Bullen-Hitze schon Lust, Milch zu geben: Kühe schlummern in der Sommersonne (Foto: Foto: dpa)

Zwar war es unfassbar heiß, doch passierte trotzdem ganz viel Bedeutsames: Gleich Anfang Juli wurde Heinrich Lübke (Meine-Damen-und-Herren-liebe-Neger-Equal-goes-it-loose) zum Bundespräsidenten gewählt. Eine große Zeit für das Amt - und das Kabarett brach an.

Die dänische Zeitung Berlingske Tidende spottete sich schon mal warm: Der Saal unfestlich, "wie auf einer Auktion in einer Fischhalle", Lübke gewählt von einer "wurstessenden und biertrinkenden Versammlung". Schlechte Vorzeichen. Bei einem Empfang in seinem Heimatdorf Enkhausen bald danach bezeichnete Lübke sein Amt als "eine geschlossene Tür, durch die ich gehen muss". Ach so, andere rennen halt offene Türen ein.

In München wurden derweil Autos geweiht. 26 Volkswagen und vier Kleinbusse für mobilitätsbedürftige Landpfarrer schritt Kardinal Wendel ab, imprägnierte sie mit Weihwasser, nicht ohne in der anschließenden Predigt zu warnen: "Der Segen der Kirche für Kraftfahrzeuge ist nicht als Freibrief für Unachtsamkeit oder gar Rücksichtslosigkeit gedacht."

Das Wichtigste aber: Die große Hitze schmolz das Eis zwischen Ost und West, zumindest ein wenig. Es fing alles damit an, dass der DDR die Milch ausging.

Ein Erklärungsmuster der Westpresse lautete: Zu viel Hitze, daher verdörrte Weiden, ergo zuwenig Kuhfutter, außerdem zu wenig Limo und Selters, weswegen zu viele durstige Ostbürger auf Milch auswichen. Die Ost-Presse gab Durchhalteparolen aus: "Ein Contra der Trockenheit", "Milchversorgung sichern", "Jedes Korn ist kostbar".

Deutschland West wollte helfen und schlug vor, Milch zu liefern. Erbost lehnte Deutschland Ost ab: Die BRD solle sich um ihre eigenen dürregeschädigten Bauern kümmern, anstatt mit Mitleidsaktionen von der atomaren Aufrüstung abzulenken. Außerdem sei BRD-Milch radioaktiv.

Vielleicht wäre eine Hilfs-Säugung aus dem Westen wirklich zu viel gewesen für die gerade erst fertigkollektivierten Ost-Landwirte. Manchen Bauern war es sowieso schon zu blöd geworden, sie machten in großer Zahl rüber, Radioaktivität hin oder her. Einer nahm sogar seine 14 Kühe mit. Am Ende lieferte die BRD die Milch versteckt in 2000 Kühen über die Grenze, für zwei Millionen Verrechnungseinheiten.

Ein wenig Tauwetter also. In der DDR setzte sich trotzdem langsam die Erkenntnis durch, dass ein milchloser Staat, dem sogar die Kühe davonliefen, nicht besonders attraktiv war. 50.000 Flüchtlinge meldeten sich im ersten Halbjahr in Westberlin. Zwei Jahre später wurde das Problem gelöst: Man baute einfach einen großen Zaun ums Land.

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