Soldiner Kiez:Bulle und Buddy

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Gemeinsam kicken statt sich bekriegen: Yousef Ayoubs (rechts) Ideen sah Polizist Eckhard Mantei (dahinter) anfangs noch skeptisch. (Foto: Quentin Lichtblau)

In dem unruhigen Berliner Viertel nähern sich Polizei und Jugendliche an - trotz Gegenwind nach einem missglückten PR-Video. Ein Besuch.

Von Quentin Lichtblau

Es war im September 2009, als Yousef Ayoub genug hatte und den Klingelknopf an der Polizeiwache in Berlin Wedding drückte. Er wollte reden. Über seine Heimat, den Soldiner Kiez, in dem man sich damals zweimal überlegte, ob man ihn als Adresse in seiner Bewerbung angeben sollte. Die Zustände dort machten den damals 25-Jährigen wütend, verzweifelt - aber er hatte eine Idee, mit der sie sich vielleicht bessern ließen.

Der Auslöser für seinen Besuch auf der Wache war ein Großeinsatz an der Soldiner Straße, Ecke Koloniestraße gewesen. Jemand hatte die Polizei gerufen, obwohl diesmal gar nichts vorgefallen war, wie Ayoub sagt, falscher Alarm. Die Polizei rückte mit einer Hundertschaft an. Mannschaftswagen hielten mitten auf der Kreuzung. Als die Polizisten merkten, dass sie umsonst angerückt waren, so erzählt es Ayoub, hätten sie alle Menschen auf dem angrenzenden Spielplatz kontrolliert: Erwachsene, Jugendliche, Kinder. Wahllos, sagt er. Als sie fertig waren, hob ein Jugendlicher ein kleines Baby aus dem Kinderwagen, streckte es einem der Polizisten in schusssicherer Weste entgegen und sagte: "Hier, den haben Sie vergessen!"

Neun Jahre später, am 17. Oktober 2018, stellte die Polizei Berlin ein Video auf Youtube. Der Titel: "KbNa - Füreinander da". KbNa steht für "kiezbezogener Nachbarschaftsaufbau". Es war Ayoubs Idee, die mit seinem Besuch auf der Wache vor vielen Jahren begann. Im Video zu sehen: Der Spielplatz an der Soldiner Straße. Anwohner des Viertels, ihre lächelnden Kinder, eines davon auf dem Arm eines Polizisten. Man sieht Jugendliche, die Polizisten zur Begrüßung in die Arme fallen. Menschen verschiedenen Alters, verschiedener Kleidung und Hautfarbe, sie tanzen, spielen Fußball, lachen. Und ein Polizist, der zusammen mit Jugendlichen Sätze rappt wie "Ich arbeite für die Polizei, aber trotzdem kann ich auch dein Homie sein".

Man kann das Sozialkitsch nennen, alles im Video scheint für die Kamera zu passieren. Gleichzeitig zeigt es eben genau das, was Ayoub damals vorschwebte: Begegnungen der unterschiedlichen Leute im Viertel, auf Augenhöhe. Doch polizeikritisch eingestellte Menschen trauten der heilen Welt im Video nicht. Wo bleibt da die Kritik an Polizeigewalt, fragten sie in ihren Online-Kommentaren, oder am "Racial Profiling"? Für sie war der Film nichts anderes als: "Bullen-PR", garniert mit ein paar Alibi-Migranten. Während sich die linke Seite in Kritik übte, kam von rechts: Hass. Eine Polizei, die vermeintlich kriminellen Migranten und Araber-Clans die Hände reicht statt Härte zu zeigen? Das sei die Kapitulation des Rechtsstaats. "Wenn die Polizei von ethnisch Fremden unterwandert wird, dann ist es vorbei mit Deutschland", schrieb einer.

Als dann auch noch herauskam, dass der verantwortliche Produzent bereits im Jahr 2016 für den Rapper SadiQ ein Video zu dessen Islamismus verherrlichendem Song "Charlie Hebdo" gedreht hatte, war endgültig alles zu spät. Viele Medien griffen das Thema auf, jeder mit seiner eigenen Art von Kritik. Die Meinung zu "Füreinander da" war einhellig: schlecht.

"Das war richtig zerstörend für uns, wir haben mit völlig anderen Reaktionen gerechnet", bekennt Eckhard Mantei, 57 Jahre alt, Hauptkommissar in der Dienstgruppe 4. Er sitzt im Aufenthaltsraum der Wache, auf den Ledersofas um ihn die Polizisten aus dem Video, die Kaffeemaschine blubbert, Funksprüche tönen aus den Geräten. Mantei wirkt wie aus einer Folge von "Polizeiruf 110" gefallen: kugelrunder Kopf, freundliche Augen, kein Beamtendeutsch, sondern Brandenburger Schnauze - aber in nett. "Wir sind davon ausgegangen, dass alle so denken wie wir", sagt er, "tolle Sache, schönes Projekt. Das war für uns Realität." Synchron-Seufzen bei seinen Kollegen.

Wie sieht sie denn aus, ihre Realität? "Vor zehn Jahren gab es noch richtig heftige Angriffe auf Polizisten, auf Einsatzwagen, man hat uns mit Steinen beworfen oder die Reifen zerstochen. Jugendliche und Polizisten haben sich bekriegt." Die damals naheliegende Lösung war "Mannpower", wie es Mantei nennt: Stärke zeigen, Machtdemonstration, Kontrollen. "Hat aber nichts gebracht, es wurde nur noch unangenehmer für alle Seiten. Die Polizisten waren fix und fertig und die Jugendlichen genervt, andauernd zum Ziel von Repressionsmaßnahmen zu werden." Dann tauchte Yousef Ayoub auf. "Der stand einfach so vor der Wache und fragte: ,Können wir uns nicht mal kennenlernen'?"

Ayoubs Idee: Ein Netzwerk aus allen für das Zusammenleben im Kiez relevanten Einrichtungen, seien es die Jugendzentren, Nachbarschaftscafés, Theater, Kirchen, Moscheen, Krankenhäuser - und eben auch die Polizei. Für den Anfang schlug er vor, dass sich Polizisten und die Jugendlichen aus der Freizeiteinrichtung JFE, wo er als Sozialarbeiter tätig war, zum gemeinsamen Kicken treffen.

"Ich war da selbst sehr skeptisch anfangs", erzählt Hauptkommissar Mantei. "Ich dachte: Die greifen uns doch ständig an, zerstören die Einsatzmittel, Polizisten werden verletzt. Ich hatte schon echt Herzklopfen, als ich zum ersten Mal in diesen Jugendklub reingelaufen bin." Zunächst aus Mangel an Alternativen habe man sich aber auf die Idee eingelassen - und wurde positiv überrascht. In den vergangenen neun Jahren ist die Polizei zu einem festen Bestandteil des Projekts mit dem etwas sperrigen Namen KbNa geworden. "Den Hass, der uns da früher entgegengeschlagen ist, den haben wir ziemlich erfolgreich abgebaut", sagt Mantei. "Er ist kaum noch zu spüren. Aus einem einfachen Grund: Weil wir uns jetzt alle untereinander kennen. Für viele Jugendliche sind wir jetzt nicht mehr die bösen Polizisten, sondern bekannte Gesichter mit Namen."

Die Polizei rappt in einem Video - und wird von allen Seiten heftig kritisiert

Und lernen die Polizisten dabei auch etwas? Zum Beispiel über Erfahrungen mit Racial Profiling, der Auswahl vermeintlich Verdächtiger nach rassistischen Kriterien? "Klar, die Jugendlichen fragen oft: Warum werde gerade ich immer kontrolliert? Ist es, weil ich Ausländer bin? Wir diskutieren das aus." Mantei senkt seine Stimme. "Und dass es eben leider oft tatsächlich so ist, lässt sich ja nicht von der Hand weisen. Die Kritik, die uns von so manchem Kollegen entgegengebracht wurde, unterscheidet sich nicht großartig vom Hass im Netz." Dann geht es los zum Fußballturnier - diese Woche mit jungen Flüchtlingen und als schwer erziehbar geltenden Teenagern.

"Viele haben im Video einfach nur die Polizisten gesehen, die mit den Jugendlichen rappend im Kiez stehen", sagt Yousef Ayoub, heute 35, zweifacher Vater und Erzieher an einer Grundschule, vor der Tür zur Turnhalle. "Die dachten sich dann eben: Klar, billige Polizei-Promo, ganz toll. Oder die Rechten eben: Warum stehen die da mit den Migranten rum, anstatt deren Kriminalität zu bekämpfen? Das könnte man ja alles erklären, die meisten haben aber gar nicht erst gefragt." Vielleicht sei missverständlich gewesen, das Video über den Youtube-Kanal der Berliner Polizei hochzuladen, glaubt er: "Dass die Polizei nur eine von mittlerweile 35 Einrichtungen ist, die bei KbNa mitmachen, das kapiert man wahrscheinlich nicht sofort".

Ayoub erzählt vom Tag der offenen Moschee, für den die gegenüberliegende Kirche spontan ihre Stühle zur Verfügung gestellt hat. Oder vom vorweihnachtlichen Plätzchenbacken, mit denen die Jugendlichen Patienten im jüdischen Krankenhaus überraschen sollten: "Es geht hier um alle in der Nachbarschaft, nicht nur um ein bisschen gutes Gefühl bei der Polizei." Vom anderen Video des Produzenten für SadiQ habe man damals nichts gewusst und sich als Verein von Ehrenamtlichen über sein Angebot gefreut, das Video ohne Honorar zu produzieren. "Ich glaube, sowohl der Regisseur als auch wir haben aus diesen Erfahrungen gelernt", sagt Ayoub.

Die Kritik, dass der Alltag im Soldiner Kiez im Video zu friedlich daherkommt, will der 35-Jährige nur teilweise gelten lassen: "Die Situation hat sich ja tatsächlich enorm verbessert in den vergangenen neun Jahren. Das kann ich besser beurteilen als jeder Kritiker, ich wohne schließlich dort." Manchmal reiche es eben schon aus, dass sich Polizisten und Jugendliche in einem anderen Kontext treffen. "Das heißt ja nicht, dass die beste Freunde sein müssen. Aber das Fremde ist eben weg. Heute gehen viele Jugendliche von sich aus zur Wache, um etwas zu klären."

"Eins ist sicher", sagt Hauptkommissar Mantei. "Kaum einer von denen, die jetzt meckern, hat mitbekommen, wie es hier vor zehn Jahren zuging." Nicht seine skeptischen Kollegen, keiner der Hetzer im Netz. Er schon. Ein Jugendlicher mit Zigarette kommt vorbei und bittet den Polizisten um Feuer. Mantei lächelt. Er rauche nicht, sagt er. "Sportlich", grinst der Jugendliche - und geht weiter.

© SZ vom 31.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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