Sippenhaftung:Altenheim feuert 95-jährige Patientin

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Ein Münchner Altenpflegeheim hat eine demenzkranke Bewohnerin auf Räumung ihres Zimmers verklagt. Der Sohn der Patientin hatte heimliche Video-Aufnahmen für einen Fernsehsender erstellt, um auf Pflegenotstände hinzuweisen.

Der Heimleiter begründete die Kündigung des Zimmers vor dem Landgericht München I mit den heimlichen Video-Aufnahmen des Sohnes und Betreuers der Seniorin. Die Aufnahmen waren von dem Privatsender RTL in einem Beitrag über Pflegeskandale in deutschen Heimen ausgestrahlt worden.

Die Patientin treffe zwar keine Schuld, sie müsse sich aber das "Fehlverhalten" ihres Sohnes zurechnen lassen, erklärte der Heimleiter. Der Fall sei in der Rechtsprechung einzigartig, heißt es in der Klageschrift.

Der 65-jährige Sohn hatte nach seinen Worten schon seit dem Einzug seiner Mutter in das Heim im Juni 2004 Beschwerden über Pflegemängel vorgebracht. Die alte Frau habe zu wenig zu trinken bekommen und sei nie ins Freie geführt worden. Sie habe sich wund gelegen, die Windeln seien nicht regelmäßig gewechselt worden, oft habe es im Zimmer nach Urin und Fäkalien gerochen. Der Heimleiter sei nicht gesprächsbereit gewesen.

Im Weihnachtsbaum versteckt

Der Diplomkaufmann versteckte schließlich im Weihnachtsbaum eine Mini-Kamera mit Sender. Das Heim zeigte ihn an, die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen mangels ausreichender Anhaltspunkte für die Erhebung einer Anklage ein.

Die Zivilrichterin hielt es für "denkbar, die Kündigung auf die versteckte Kamera zu stützen". Das Vertrauen zwischen den Vertragspartnern sei "nicht unerheblich beeinträchtigt".

Entscheidend sei aber die Frage, ob das Verhalten des Betreuers gerechtfertigt war. "An generelle Missstände in Pflegeheimen glaube ich sofort", sagte die Richterin. Man müsse aber unterscheiden zwischen Problemen der Sozialpolitik und der Organisation in den einzelnen Heimen.

Entscheidung am 4. Oktober

Der Anwalt des Betreuers soll seine Beanstandungen nun detailliert und mit genauen Zeitangaben vorbringen. Am 4. Oktober soll eine Entscheidung ergehen.

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