"Silverpit":Ein Krater sorgt für Diskussionen

Lesezeit: 2 min

Mit präzisen Bildern des örtlichen Nordseebodens glauben Forscher endgültig zu beweisen, dass der vor zwei Jahren in der Nordsee entdeckte Krater das Ergebnis eines Meteoriteneinschlags ist. Doch gegen diese spektakuläre Theorie regt sich Widerstand.

Von Axel Bojanowski

Es war eine besondere Entdeckung. Vor drei Jahren fanden zwei Erdölforscher in der Nordsee einen riesigen Krater, den sie "Silverpit" nannten (englisch für Silbergrube). Er liegt nur 130 Kilometer vor der Küste Großbritanniens, weshalb die örtlichen Medien den ersten Meteoritenkrater des Landes bejubelten.

Aufgrund seines angeblichen Alters wurde der Trichter von einigen Forschern sogar einem Bruchstück jenes Meteoriten zugesprochen, der vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier und Dreiviertel aller anderen Lebewesen ausgerottet haben soll. Jetzt präsentieren die Entdecker Simon Stewart und Phil Allen erstmals präzise Bilder des örtlichen Nordseebodens. Damit meinen sie, endgültig beweisen zu können, dass es sich tatsächlich um einen Meteoritenkrater handelt - doch es regt sich Widerspruch.

Nichts Besonderes ist zu sehen, auf dem Meeresgrund zeichnet sich keine Mulde ab. Erst auf den Karten von Erdölfirmen, die auf der Suche nach Öl und Gas den Untergrund mit Schallwellen durchleuchten, erkannten Stewart und Allen unter bis zu 1500 Meter dicken Ablagerungen den Krater mit einem Durchmesser von zehn Kilometern. Er ist damit etwa halb so groß wie der Meteoritenkrater "Nördlinger Ries" zwischen Schwäbischer und Fränkischer Alb. Für ihre Bilder haben die beiden Forscher neue Daten ausgewertet.

Eine 120 Meter dicke Bombe

"Zahlreiche äußere Merkmale" ließen darauf schließen, dass das Gebilde bei einem Meteoriteneinschlag entstanden sei, berichten sie in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins GSA Bulletin (Bd. 117, S. 354). Besonders auffällig ist ein 300 Meter hoher "Nippel", der aus dem Zentrum des Kraters aufragt - typisches Merkmal eines Meteoriteneinschlags. Der Haufen entsteht, wenn durch den Aufprall in die Luft geschleuderte Erde auf den Boden fällt. Zehn bis 15 konzentrische Kreise umringen den Krater.

Dabei handele es sich um Gräben, an denen der vom Einschlag geschwächte Untergrund eingebrochen sei, meinen die Forscher. Eine etwa 120 Meter dicke Bombe aus dem All sei mit 20 Kilometer pro Sekunde niedergegangen, folgern die britischen Erdölgeologen. Der Brocken hätte das Land verwüstet: Staub und Trümmer wären weiträumig niedergegangen, Minerale an der Einschlagstelle geschmolzen, und weil der Meteorit ins Meer eingeschlagen wäre, hätten Tsunamis die Küsten überschwemmt.

"Noch wurden aber keine entsprechenden Spuren gefunden", kritisiert der Geologe Kevin Smith vom Britischen Geologischen Dienst. Smith bevorzugt ein weniger spektakuläres Szenario, um den Krater zu erklären. Spannungen im Untergrund hätten die Erdkruste aufgerissen. Derartige "Zerrgräben" gebe es in der Gegend mehrfach, betont Smith - keiner von ihnen ähnelt allerdings einem Meteoritenkrater.

Keine außerirdischen Kräfte

Auch der Geologe John Underhill von der Universität Edinburgh sieht keine außerirdischen Kräfte am Werk. Vielmehr hätten Salzbewegungen den Krater erzeugt. Unter dem Druck aufliegender Erdschichten ist Salz beweglich und drängt als Salzstock bisweilen sogar bis an die Oberfläche. Im Nordseeboden wurden vielerorts dicke Salzschichten nachgewiesen, in manchen lagert Erdöl. Der Silverpit-Krater liege über ausgedünnten Salzschichten, meint Underhill.

Der Boden habe nachgegeben, als das Salz entwichen sei. Nein, protestieren Stewart und Allen, es gebe keinen Zusammenhang zwischen Salzbewegungen und Krater. Trotz der Kraterbilder: die Silbergrube bleibt umstritten. Nur der Verdacht, der mögliche Meteorit habe etwas mit dem Aussterben der Dinosaurier zu tun, ist wohl aus der Welt - zu unsicher ist der Zeitpunkt des Einschlags: Zwischen 74 und 54 Millionen Jahren vor heute soll der Krater entstanden sein.

© Süddeutsche Zeitung vom 21.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: