Siegeszug der "Nazi-Kuh":Rinder-Wahnsinn im Königreich

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Der liebste Feind der Briten sorgt wieder für Aufregung: Nach einem drohenden Angriff von Nazi-Waschbären fürchtet sich das Königreich nun vor der Invasion der Nazi-Kühe.

Kathrin Haimerl

Die Briten lieben ihre Traditionen. Dazu gehört es etwa, jedes Jahr bei der "Last Night of the Proms" in der Royal Albert Hall in London Fähnchen schwenkend der Tage des Empire zu gedenken und mit stolzgeschwellter Brust "Rule Britannia" zu singen. Dabei blicken die Briten schon fast wehmütig auf die Zeiten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zurück, in denen sie zu den triumphierenden Siegermächten gehörten.

Das neue Feinbild der Briten: Nachfahren der sogenannten Heckrinder. (Foto: Foto: dpa)

Seither leiden die Briten an einem kollektiven Verfolgungswahn: Sie befürchten, dass Hitlers Horden es posthum irgendwie doch noch schaffen könnten, die Insel einzunehmen. Deshalb jagt den Inselbewohnern auch mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Wort Nazi einen Schauer über den Rücken. Und die Londoner Revolverblätter wissen, diese etwas andere "German Angst" ihrer Leser gekonnt zu bedienen.

2005 etwa witterte die Sun einen "pelzigen Blitzkrieg": Waschbären seien auf dem Vormarsch in Richtung Großbritannien - man sah die putzigen Tierchen schon, wie sie mit Stahlhelmen im Stechschritt wie kleine Gremlins durch Frankreich, Belgien, Holland und Dänemark marschieren. Immer das Ziel im Blick: die Insel. Nur noch der Kanal würde die Heimat vor den Horden bewahren. Die Tiere drängten in neue Territorien vor, schreibt die Sun. "Just like the Nazis did." Da war er wieder, der Nazi-Vergleich.

Seither geistern die "Nazi Racoons" durch die Weltpresse. Der Name beruht auf einem Gerücht, das sich hartnäckig hält: Hermann Göring persönlich soll die Ansiedlung von Waschbären am nordhessischen Edersee angeordnet haben. Angeblich war der Reichsmarschall und passionierte Jäger auf der Suche nach neuem Futter für seine Waffe.

Nun jagt den Briten ein sehr viel wuchtigeres Tier Angst ein: die Nazi-Kuh. Der britische Farmer Derek Gow aus dem Dorf Broadwoodwidger im Südwesten Englands sagt: "Dieses verrückte Tier ist ziemlich gefährlich und hat mich ein paar Mal angegriffen."

Die lokale Presse beäugte argwöhnisch das Eindringen der feindlichen Kuh in die idyllische Landschaft von Devon: "Zum ersten Mal kann man beobachten, wie eine Züchtung der Nazis friedlich auf einer Farm in Südwestengland grast." Den Schuldigen, der die Spezies in England eingeführt hat, hat die britische Presse schnell ausgemacht. Es ist der Farmer Derek Gow, der sich nun über die Aggressivität der Tiere beklagt. Er hat die Rinder erst kürzlich in Belgien erworben.

Die Rinder sollen angeblich die Nachfahren einer Herde aus einem Nazi-Experiment sein. Wieder steckt Hermann Göring dahinter. Der wollte eine urzeitliche Tierwelt neu zum Leben erwecken. Die Zoologen Heinz und Lutz Heck nahmen sich jedoch bereits in den 1920er Jahren der Aufgabe an, den im 17. Jahrhundert ausgestorbenen Auerochsen ( Bos primigenius primigenius) nachzuzüchten - als Erinnerung an eine Zeit, bevor Europa von "rassisch degenerierten" Tieren bevölkert wurde. "Die Nazis wollten mit den Tieren die alten Legenden der Germanen wieder aufleben lassen", erklärt Farmer Gow der britischen Presse.

Die Brüder nahmen primitivste Rinderzüchtungen, in dem Glauben, dass sie mittels der sogenannten Abbildzüchtung den Auerochsen - auch Ur genannt - auferstehen lassen könnten. Heinz Heck kreuzte Schottische Hochlandrinder mit Tieren aus Korsika, Ungarn und Spanien. Das Ergebnis ist höchst umstritten. Die meisten Genetiker vertreten heute die Auffassung, dass es unmöglich ist, eine ausgestorbene Spezies nachzuzüchten.

Die Heckrinder bevölkerten im Dritten Reich die Zoos von Berlin und München. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurden viele der Tiere getötet. Doch einige überlebten. Und Nachfahren dieser Tiere grasen heute in Devon. Im Herzen Englands.

Derek Gow wehrt sich nun in der britischen Presse gegen den Vorwurf, die Nazi-Zucht ins Land eingeführt zu haben: "Heckrinder zu besitzen ist auch nicht unanständiger als Volkswagen zu fahren", sagte er dem Independent. Wenn das den Revolverblättern nicht Anlass zu neuen Invasionstheorien aus Deutschland gibt.

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