Selbstversuch "Arbeiten" & "Wohl fühlen":Es ist der Rhythmus, der mit muss

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Vom Leistungshoch zum -tief und wieder hoch.

nini

Zu früh aus dem Bett, zu spät wieder rein. Dazwischen Fast Food und Stress im Job: Das schaffen nur Ratgeber-Autoren, ihrer Leser Leben kurzerhand so erschreckend klar als einleuchtendes Negativ-Beispiel darzustellen. Sie unterschlagen dabei ganz, dass wir so früh aufstehen, um dem entzückendsten Kind der Welt Müsli und Pausenbrot machen zu können ohne auf die weltbeste Frühstückslektüre verzichten zu müssen. (Sie wissen schon, welche Zeitung wir meinen.)

(Foto: Foto: Photodisc)

Doch wer früher als der Biorhythmus aufsteht, wird seine Rache spüren: Das Immunsystem döst noch, aber der Spiegel des Stresshormons Cortisol steigt. Jetzt liegen die Nerven blank. Und dann macht das Kind auch noch seine Zöpfe wieder auf und beschmiert seinen Pulli mit Zahnpasta, nachdem es sich zuvor drei Mal umgezogen hat, obwohl es doch längst schon im Auto sitzen sollte. Jetzt würde man gerne dem Ratgeber folgen, in Gottes Namen auch die Übung Den Stress wegatmen machen. Unmöglich. Wir KÖNNEN uns jetzt nicht mit geschlossenen Augen und Hand auf dem Bauch auf eine Matte legen!

Außerdem ist dafür keine Zeit. Wir wollen wenigstens um acht am Schreibtisch sitzen wie es sich für einen professionelle Biorhythmus-Arbeiter gehört. Das Kurzzeitgedächtnis ist jetzt besonders fit. Und überhaupt sind wir alle vormittags in Hochform. Auch wenn manchem Kollegen im Meeting fast die Augen zufallen. Geschlafen wird hier erst wieder nach dem Mittagessen. Wer kann, legt am Schreibtisch einfach den Kopf auf die Arme und tankt beim Power-Nap neue Kraft. Der Nachtisch ist übrigens gestrichen, den müssen wir uns für den Nachmittag aufheben. Der Kaffe soll auch wegbleiben. Dafür dürfen wir kurz spazieren gehen und dann sollen wir uns an Routine-Tätigkeiten machen. Für 15 Uhr wird uns dann ein Zahnarzt-Besuch empfohlen. Das Schmerzempfinden ist jetzt besonders gering. Vielleicht lässt der Chef mit sich reden: Wir werden vorschlagen, Gehalts- und Zielgespräche künftig auf diese Uhrzeit legen.

Am späteren Nachmittag stellt sich oft wieder ein Leistungshoch ein. Ganz unmöglich, da pünktlich zu gehen. Jetzt würde es gut tun, sich zum Ausgleich auf ein Gläschen Wein am späten Feierabend zu freuen. Stattdessen lesen wir, dass der Körper dann Gifte wie Nikotin und Alkohol besonders schlecht abbauen kann. Ach, das ist doch recht genussfeindlich, monoton und freudlos so ein Spielverderber-Ratgeber-Leben. Um in deren Jargon zu bleiben: Der Körper tickt nach einer inneren Uhr und zum Glück nicht nach dem Muster aus einem Buch.

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