Seelsorge:"Wie ein Stammplatz bei Real Madrid"

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Olli Kahn trösten, wenn dem der Ball mal wieder von der breiten Brust gesprungen ist, oder Kevin Kuranyi, wenn der nicht trifft — all das gehört nicht zu Hans-Georg Ulrichs' Aufgaben. Als "WM-Pfarrer" wird ihm die Arbeit trotzdem nicht ausgehen.

Von Matthias Drobinski

Er war Stürmer, damals, als er in der C-Jugend Bezirksmeister mit dem SV Concordia Ihrhove wurde. Heute stürmt er immer noch, mal für die badische Pfarrerauswahl, mal für das Team der Zentrale der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover.

Hans-Georg Ulrichs (Foto: Foto: dpa)

Ein guter Stürmer ist beweglich, sucht auch in aussichtslos erscheinenden Situationen unverdrossen seine Chance — Eigenschaften, die Hans-Georg Ulrichs auch im richtigen Leben schätzt.

Seine technischen Defizite, erzählt der 38-Jährige, mache er durch läuferischen Einsatz wett. Was offensichtlich die evangelische Kirche so überzeugt hat, dass sie Ulrichs mit Wirkung vom 1. Januar 2005 an zum "Beauftragten für die Fußballweltmeisterschaft 2006" ernannt hat, zum "WM-Pfarrer".

Und so hat der Pastor, der sich mit seiner Frau eine Pfarrstelle in Karlsruhe-Durlach teilt, seine Forschungsarbeiten zur reformierten und zur badischen Kirchengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts beiseite geschoben und posiert nun im Traditions-Shirt der deutschen Weltmeister-Mannschaft von 1954, den Fußball unterm Arm, der politisch korrekt aus dem Dritte-Welt-Laden stammt.

Sein künftiger Job sei "wie ein Stammplatz bei Real Madrid", schwärmt Ulrichs. Ein bisschen Überschwang klingt da schon mit, denn Pfarrer Ulrichs ist nicht zum Seelsorger der Nationalmannschaft ernannt worden, sondern muss die kirchlichen Aktivitäten vor und während der WM in Deutschland vorbereiten und koordinieren.

Er wird also Arbeitshilfen für die Kirchengemeinden zusammenstellen, damit die dem zu erwartenden Fußballfieber nicht wort- und tatenlos zusehen; er wird sich Gottesdienste und Predigtvorschläge ausdenken.

Und in vielen Sitzungen sein, denn in jeder WM-Stadt wird es einen Runden Tisch geben, an dem auch die Kirchen sitzen.

Weniger Körperertüchtigung als vielmehr theoretisch-organisatorische Arbeit also.

Zur Theorie hat der kickende Theologe in den vergangenen Jahren aber auch einiges beigetragen, ein Buch über "Fußball und die protestantische Öffentlichkeit" zum Beispiel, über die "wunderlichen Wechselwirkungen" zwischen Kirche und Sport oder eine Predigtsammlung mit dem Titel: "Mensch, Aki, spiel ab!"

Beziehungen zwischen Fußball und Religion gibt es ja genug, sagt Ulrichs, "von den Riten der Fans angefangen bis hin zu der Tatsache, dass viele Fußballer sehr gläubige Menschen sind".

Und wenn 2006 "Hunderttausende Menschen nach Deutschland kommen, die sich begeistern wollen, dann muss der Platz der Kirche bei diesen Menschen sein".

Wobei — die Arbeit als Nationalmannschafts-Seelsorger würde ihn schon reizen. Michael Ballack trösten, wenn er am Tor vorbeigeköpft hat, Olli Kahn aufmuntern, wenn ihm der Ball von der breiten Brust gesprungen ist (vielleicht: "Du Depp — aber Gott liebt Dich trotzdem!").

Einen Mentaltrainer habe Bundestrainer Jürgen Klinsmann ja schon, warum also nicht auch einen Seelsorger? Und so sagt Hans-Georg Ulrichs das, was jeder ehrgeizige Kicker nach dem dritten guten Spiel in Folge sagt: "Ich hoffe auf den Anruf von Herrn Klinsmann."

© SZ vom 15.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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