Schul-Anschlag in Sankt Augustin:Täterin mit Mitteilungsdrang

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Der verhinderte Schul-Anschlag im rheinischen Sankt Augustin gibt Rätsel auf - die Ermittler versuchen, Antworten zu bekommen.

Dirk Graalmann

Amok, ein Wort aus dem Malaiischen, bedeutet "in blinder Wut angreifen und töten". War die 16-jährige Tanja O. in blinder Wut und voller Tötungsabsicht, als sie am Montagmorgen kurz vor neun Uhr in ihre Schule ging, das Albert-Einstein-Gymnasium in Sankt Augustin bei Bonn? Im ihrem Rucksack fanden die Ermittler nach dem offenbar verhinderten Anschlag zehn Flaschen mit Brandbeschleunigern, sogenannte Molotow-Cocktails, sowie eine Gaspistole.

Die Polizei (Foto: Foto: AP)

Bei der Durchsuchung ihres Zimmers in der Wohnung der Eltern stießen die Fahnder zudem auf einen Feuerlöscher, der mit "entzündbaren Materialien" befüllt worden sei, wie die Bonner Staatsanwaltschaft erklärte. Die Boulevardzeitungen schrieben gleich über eine "Bombe".

Aber warum? Die Frage ist schwierig zu beantworten und nach wie vor offen. Tanja O. wird derzeit von der Kölner Polizei vernommen. Die 16-Jährige, die am Montagmorgen nach ihrer vorzeitigen Entdeckung durch eine Mitschülerin auf der Schultoilette geflüchtet war, hatte sich am Abend um 23 Uhr im Kölner Hauptbahnhof der Polizei gestellt. Die ein Jahr ältere Mitschülerin, der bei der Auseinandersetzung von Tanja O. mit dem Messer ein Daumen abgetrennt worden war, geht es inzwischen besser. Der Daumen konnte bei einer Operation erfolgreich wieder angenäht werden. Gegen Tanja O. will die Staatsanwaltschaft Bonn einen Haftbefehl wegen Vorbereitung einer Sprengstoffexplosion sowie des versuchten Mordes beantragen. Das ist die juristische Seite. Aber was hat sie getrieben?

Klar ist nur: Das Mädchen, nach Aussage von Schulleiterin Anne Marie Wähner "eine an sich gute Schülerin", hatte offenbar Suizidgedanken. Bei dem Brief, den man in ihrem Rucksack fand, soll es sich um einen Abschiedsbrief handeln. Laut Express sollen die Zeilen darin stehen: "Ich will erst meine Mitschüler weinen sehen, dann scheide ich aus dem Leben." Die Staatsanwaltschaft Bonn prüft wegen der dringenden Suizidgefahr die Unterbringung in einer geschlossenen Jugendpsychiatrie.

Hat denn niemand etwas gemerkt vom inneren Kampf des Mädchens? Ermittlern zufolge habe Tanja O. bereits in der Grundschule einen Selbstmordversuch unternommen; und auch an ihrem Gymnasium gab es mehr als nur vage Hinweise. Am Freitag noch wurde die Schulleitung von Mitschülerinnen auf das auffällige Verhalten der 16-Jährigen hingewiesen. Eine Begutachtung und Aussprache mit einem Schulpsychologen aber war erst für den Montag terminiert.

Warum nicht sofort das Gespräch gesucht wurde? Ein von der Schulleitung zu Rate gezogener Experte der Bezirksregierung habe die "eindeutige Aussage" getroffen, dass eine Fremdgefährdung nicht vorliege, sagte die Schulleiterin Anne-Marie Wähner. Zudem, so Wähner, hätten Gespräche mit Bezugspersonen der 16-Jährigen zu der Einschätzung geführt, "dass eher eine Selbstgefährdung und weniger eine Fremdgefährdung" gegeben sei.

Vielleicht hat man Tanja O. eine derartige Gewalttat nicht zugetraut; vielleicht, weil sie ein Mädchen ist. Amoklauf ist meist ein männliches Phänomen. Das Täterprofil, sagte die nordrhein-westfälische Schulministerin Barbara Sommer (CDU), müsse nun wohl erweitert werden: "Wir haben Mädchen ein Stück weit ausgeklammert."

© SZ vom 13.5.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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