Schützenvereine in Schulen:Zielsicher ins Leben

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Morgens Bio, abends ballern: Ausgerechnet dort, wo Kinder erzogen werden sollen, üben abends in den Kellern die örtlichen Schützenvereine.

Dirk Graalmann

Die Schule galt lange als Ort der Unschuld, als Hort der Gewaltfreiheit. "Die Jugend soll erzogen werden im Geist der Menschlichkeit", heißt es etwa in Paragraph zwei des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes. Wie viel dabei schiefläuft, wissen alle, spätestens seit Erfurt, Emsdetten, Winnenden. Seither streitet die Gesellschaft erbittert über Gewalt im öffentlichen Raum, über das Waffenrecht oder Killerspiele am Computer, und Schützenvereine stehen seither ohnehin unter Generalverdacht.

"Eine lang gewachsene Tradition": Viele Schützenvereine trainieren in Schulen. (Foto: Foto: SZ/Andreas Heddergott)

Dabei hat sich offenkundig lange niemand gestoßen am Sport der Schützen. Nicht einmal in den Schulen. Denn ausgerechnet dort, wo Kinder "zur Friedensgesinnung" erzogen werden sollen, üben abends in den Kellern die örtlichen Schützenvereine. Morgens Bio, abends ballern.

5600 feste Schießstände gibt es in Nordrhein-Westfalen, 160 davon sollen in Schulgebäuden untergebracht sein. Genau weiß das niemand, die Zahl wird nicht zentral erfasst. Auf Antrag der Grünen im Düsseldorfer Landtag hat die Landesregierung nun zugesagt, Genaueres zu ermitteln. Die NRW-Schulministerin Barbara Sommer gibt bereits die Richtung vor: Es sei "schulpolitisch wünschenswert, dass Schießstände nicht in Schulgebäuden untergebracht sind", sagt die CDU-Politikerin.

Entschieden aber wird im Einzelfall, verantwortlich für die Nutzung sind die jeweiligen Kommunen als Schulträger sowie die Kreispolizeibehörden, die eine derartige Anlage genehmigen und anschließend regelmäßig kontrollieren müssen. Allein in Gelsenkirchen gibt es sechs Schulen, in deren Kellerräumen abends örtliche Schützen üben. "Eine lang gewachsene Tradition", sagt Stadtsprecher Martin Schulmann auf Anfrage.

Als die großen Kokskeller überflüssig wurden, seien sie vielerorts umgewidmet worden. Die Räume sind streng gesichert, es gibt separate Zugänge und geübt wird - zumeist mit Luftgewehren - in den frühen Abendstunden, wenn der Schulhof längst verwaist ist. Vielerorts erklären die Schulleiter, von der Schießerei in den eigenen Räumen gar nichts gewusst zu haben. Massive Proteste zumindest, sagt Stadtsprecher Schulmann, habe es nie gegeben. Und die Schützenvereine, die Wert darauf legen, eine olympische Sportart auszuüben, sind entsetzt über die plötzliche Entrüstung.

Keine Hysterie

Der Widerstand aber wächst: "Schießstände haben in Schulen nichts zu suchen", sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung. Schulen sollten "gewaltfreie Räume sein", findet er. Der Verband fordert die kommunalen Spitzenverbände auf, eine entsprechende Selbstverpflichtung einzugehen. Der nordrhein-westfälische Städte- und Gemeindebund reagiert allerdings verhalten. "Wir sind offen für Gespräche", sagte der Sprecher Martin Lehrer. "Aber wir sollten nicht mit Hysterie darangehen, sondern nüchtern." Nüchtern betrachtet, lässt sich die Angelegenheit rein rechtlich nicht sofort lösen; viele Schützenvereine haben die Räume teilweise für bis zu 15 Jahre fest angemietet.

Wie arglos die Kommunen bisher mit der Sache umgingen, bewies im April der Sportausschuss der Stadt Gelsenkirchen. Er bewilligte dem Bürgerschützenverein Buer-Bülse e.V. einen Baukostenzuschuss in Höhe von 35000 Euro. Der Verein, der sich der Jugendförderung verschrieben hat, will seine Anlage erweitern. Aus sechs Schießständen, seit drei Jahrzehnten untergebracht im Kellergeschoss der örtlichen Grundschule, sollen zehn werden.

© SZ vom 25.05.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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