Schlimmster Winter seit 1979:Das große Schaufeln

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Im Bayerischen Wald sind Hunderte Helfer seit Tagen mit dem Schneeräumen beschäftigt. Das ist nicht nur gefährlich, sondern für viele Hauseigentümer auch teuer.

Rolf Thym

Seit einem Jahr ist der Passauer Kreisbaumeister Josef Ascher im Ehrenamt der oberste Feuerwehrmann des Landkreises Passau. Und nun, beim ersten Katastrophenfall, den er zu leiten hat, ist es noch dramatischer gekommen als im letzten Katastrophenwinter 1979.

Nachtschicht: Viele Bundeswehrsoldaten räumten die ganze Nacht hindurch Schnee von den Wegen. (Foto: Foto: dpa)

Damals hatte der Schnee massenhaft Bäume umgeknickt. Die Feuerwehren mussten mit Motorsägen ausrücken, um Straßen wieder passierbar zu machen. Jetzt aber geht es um mehr, um viel mehr.

Akut in der Standfestigkeit bedroht sind die Dächer von 400 Wohnhäusern, Fabrik- und Gewerbehallen, Supermärkten und öffentlichen Gebäuden vor allem in den nördlichen Gebieten des Landkreises Passau.

Der trügerische Schnee

Am Mittwoch, eine Minute nach zehn Uhr, hat Landrat Hanns Dorfner den Katastrophenfall ausgerufen - und mit ihm auch seine Amtskollegen in den Landkreisen Deggendorf, Freyung-Grafenau und Regen.

Überall drücken schwere, nasse Schneemassen auf die Dächer. Die weiße Last liegt nicht einmal dramatisch hoch - etwa 40 Zentimeter werden beispielsweise auf dem Dach eines riesigen Möbel-Auslieferungslagers der Firma Hiendl in Fatting gemessen, einem Ortsteil der Gemeinde Tiefenbach.

Der Kreisbrandrat und Kreisbaumeister Ascher kennt sich mit statischen Berechnungen recht gut aus - und so weiß er nur zu genau, wie trügerisch die vergleichsweise geringe Höhe des klatschnassen Schnees ist. Auf dem Hiendl-Dach liegt eine zusätzliche Last von etwa 130 Kilogramm pro Quadratmeter.

23.000 Quadratmeter müssen sie räumen

Seit Mittwoch schaufeln Dutzende Mitarbeiter der Möbelfirma und dazu in Acht-Stunden-Schichten 120 Soldaten des Gebirgs-Panzeraufklärungsbataillons aus dem 40 Kilometer entfernten Freyung den schweren, nassen Schnee vom Flachdach des Möbellagers.

23.000 Quadratmeter müssen sie räumen. Donnerstag um Mitternacht, so hofften sie, würde das Dach von seiner gefährlichen Last befreit sein. Dann sprach sich herum, dass bis Samstag noch einmal mit starken Schneefällen zu rechnen sei - von 50 Zentimetern sprachen die Wetterleute im Radio.

Gut möglich, dass den Hiendl-Beschäftigten und den Soldaten nur eine kurze Verschnaufpause bleibt. Vielleicht werden sie schon heute erneut antreten müssen zum großen Schaufeln.

Es gibt Katastrophen, denen die Einsatzkräfte mit Maschinen Herr werden können - im Kampf gegen den Schnee auf Dächern aber hilft mitunter nur Handarbeit mit Schaufeln, Ein-Mann-Schneeschiebern und Schubkarren.

Immerhin stehen auf dem Dach des Fattinger Möbellagers einige offene Sechs-Kubikmeter-Container, die von den Soldaten voll geschaufelt werden. Das ist schon mal eine Hilfe.

An den langen Auslegern zweier Schwerlastkräne schweben die gefüllten Container vor die Rampen, an denen sonst Lastwagen mit Möbeln beladen werden. In den wenigen Minuten-Pausen können die Soldaten und Möbelpacker wenigstens die grandiose Aussicht auf den nahen Bayerischen Wald genießen.

Es fehlt die Fachkenntnis

Unten, in einem Büro des Möbellagers, haben sich der Kreisbrandmeister Josef Ascher und seine Mitarbeiter mit Computern, Telefonen, Organisationslisten und einer Karte des Landkreises Passau eingerichtet.

Von hier aus organisiert die ÖEL - die örtliche Einsatzleitung - den Einsatz der insgesamt 1200 Helfer von Bundeswehr, Feuerwehren, Technischem Hilfswerk, Maltesern und Rotem Kreuz.

Immer wieder rufen örtliche Feuerwehrkommandanten an, die nach Rat fragen, was sie besorgten Hausbesitzern sagen sollen, die um die Standfestigkeit ihrer Dächer fürchten. Ascher empfiehlt seinen Kollegen, dass sie sich "auf nichts einlassen sollen, denn die Leute haben die Fachkenntnis nicht".

Notfalls müsse eben einer der vielen Statiker geholt werden, die derzeit im Schnee-Katastrophengebiet unterwegs sind, um mit Waage und Taschenrechner zu kalkulieren, ob das Dach die Last noch tragen kann. Ascher hält die bislang gültigen Berechnungsgrundlagen für Dachlasten für ausreichend.

Der Schnee liegt seit November

Heuer sei es eben so, sagt er, "dass wir einen außergewöhnlichen Winter haben. Seit November hat es immer wieder geschneit, der Schnee ist nicht getaut, und jetzt noch nass dazu". Ascher selber hat das Dach seiner privaten Holzlagerhalle in den letzten Tagen schon drei Mal abgeschaufelt.

Falls es erneut stark schneit, wird er es auch noch ein viertes und fünftes Mal freiräumen müssen, wenn er nach 14 oder 15 Stunden Einsatz nach Hause kommt und eigentlich dringend Schlaf bräuchte. "Man muss als Hausbesitzer halt auch selber was machen", sagt er.

Nicht anders geht es einem Hiendl-Mitarbeiter auf dem Lagerhallendach. Wenn seine Schicht vorüber ist, wird er sich daheim aufs Dach seines Hauses stellen und die 1,30 Meter hohe Schneemasse runterschaufeln.

Der nasse Schnee dieser Februartage kostet nicht nur Arbeit bis zur Erschöpfung, sondern auch viel Geld.

Zu einer Lagebesprechung im Passauer Landratsamt am Donnerstagmorgen ist der Finanz-Staatssekretär Franz Meyer gekommen, der 1979, bei der letzten großen Schneekatastrophe, selber mitgeschaufelt hat als Mitglied einer der Freiwilligen Feuerwehren der Stadt Vilshofen.

Er weiß also um das Problem des Verdienstausfalls der ehrenamtlichen Helfer. Von staatlichen Geldsummen will Meyer an diesem Tag noch nicht sprechen. Man dürfe aber sicher davon ausgehen, meint er, dass der Freistaat seine Feuerwehrleute nicht hängen lasse.

Hausbesitzer müssen sich an den Räumkosten beteiligen

Landrat Hanns Dorfner sagt, dass private Haus- und Hallenbesitzer, die Hilfe der Feuerwehren in Anspruch nehmen, sich an den Einsatzkosten beteiligen müssten.

Nicht allein die Arbeitsstunden gehen ins Geld, auch die Versorgung der Helfer. Das Rote Kreuz hat in der Gemeinde Tittling eine Zentralküche für den nördlichen Landkreis Passau eingerichtet. In und um Tittling haben die Köche in Supermärkten die Lebensmittelregale ausgeräumt.

Allein am Donnerstag mussten 1000 Portionen Gulaschsupe gekocht werden. Dazu wurden einige tausend Wurstsemmeln und Krapfen an die Einsatzkräfte verteilt. Schneeschaufeln macht hungrig, und es kann auch frustrieren.

Am Donnerstagnachmittag setzte über der Fattinger Möbelhalle wieder so starker Schneefall ein, dass man von unten kaum mehr die Männer am Dachrand sehen konnte.

© SZ vom 11.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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