Schießerei in Rüsselsheim:Stadt unter Schock

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Eine Fehde von zwei türkischen Gruppen soll die Schießerei mit drei Toten in der Rüsselsheimer Fußgängerzone ausgelöst haben. Die Polizei geht von neun Beteiligten aus. Die Bürger sind schockiert.

Harald Schwarz

Es ist ein typischer Abend in der Rüsselsheimer Fußgängerzone. Einige Passanten bestellen beim italienischen Eiscafé "De Rosso" in der Bahnhofstraße Waffeltüten mit Eis, andere genehmigen sich nebenan in der griechischen Taverne "Leonidas" ein Getränk.

Tatort Eisdiele: Beamte bei der Spurensicherung nach der Schießerei in Rüsselsheim. (Foto: Foto: dpa)

Kurz vor 20 Uhr scheint an diesem Dienstagabend alles ruhig und friedlich zu sein - so wie meistens in der Stadt mit ihren 59.000 Einwohnern aus 100 Nationen, deren bundesweites Markenzeichen der Autohersteller Adam Opel ist.

Doch dann nimmt das Unfassbare seinen Lauf: Vor der Eisdiele in der Bahnhofstraße 33 gibt es plötzlich Streit. Mehrere Personen prügeln sich, Messer werden gezückt, es fallen Schüsse. Wie viele es sind, kann später keiner genau sagen. 14 bis 15 Schüsse seien es mindestens gewesen, sagt ein Augenzeuge am Tatort. Mehrere Männer mit südländischem Aussehen werden als mutmaßliche Täter beobachtet.

Am Mittwochnachmittag geben die Staatsanwaltschaft Darmstadt und das Landeskriminalamt Hessen in Wiesbaden bekannt: Es gibt drei Tote und einen Schwerverletzten, der nach einer Notoperation außer Lebensgefahr ist. Ihn, ein 31 Jahre alter Türke aus Wiesbaden, und dessen getöteten Bruder, ein 26 Jahre alter Mann, zählen die Ermittler zur Gruppe der Angreifer. Das Leben verlor auch ein 29-Jähriger aus Raunheim, dem die Attacke offenbar galt.

Querschläger tötet unbeteiligte Frau

Doch es gibt noch ein Opfer, eine 55 Jahre alte Griechin, die seit mehr als 40 Jahren in Deutschland lebt. Sie sei als Unbeteiligte des Streits tragischerweise im Kugelhagel zufällig von einem Querschläger getötet worden, berichtet der Sprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt, Ger Neuber. Sie verblutet vor den Augen ihres Ehemanns in der Eisdiele, wo sie eigentlich nur rasch einen Cappuccino trinken wollte.

Bis zu neun Personen waren nach Ansicht der Ermittler an der Auseinandersetzung beteiligt. Drei bis vier Personen saßen demnach an einem Tisch in dem Eissalon, als vier bis fünf Männer hereinkamen und sie angriffen. Bei der Bluttat von Rüsselsheim eskalierte nach ersten Erkenntnissen der Polizei womöglich eine Fehde von zwei türkischen Gruppen.

Hintergrund sei vermutlich ein Streit zwischen einzelnen Mitgliedern von zwei Gruppen, die bereits am vergangenen Wochenende in Mainz aneinander geraten seien, sagt Stefan Müller, Leiter der Ermittlungsabteilung im Landeskriminalamt. Danach sei auch eine Strafanzeige erstattet worden. Es könne sein, dass gekränkte Ehre bei der Auseinandersetzung eine Rolle gespielt habe, so Müller. Die Suche nach dem Motiv der Tat geht aber weiter.

Mit Hochdruck fahnden die Ermittler nach weiteren mutmaßlichen Tätern, die geflüchtet sind. Schon am Mittwochvormittag meldet die Polizei die Festnahme von zwei Verdächtigen. Es handelt sich um einen 49-Jährigen und einen 28-Jährigen.

LKA-Ermittler Müller zufolge gibt es Hinweise, dass sie sich am Tatort in der Rüsselsheimer Innenstadt aufgehalten haben. Eine mögliche direkte Beteiligung an der Schießerei und Messerstecherei werde momentan noch geprüft, erklärt Müller.

Rüsselsheim steht unter Schock

In der Stadt rätseln die Menschen den ganzen Mittwoch lang über die Hintergründe des Gewaltaktes. Oft ist die Rede von Drogengeschäften und von illegalen Wettbüros und häufigen Auseinandersetzungen wegen Wettschulden. Auch Spekulationen über mögliche Mafia-Morde und Verbrechen aus dem Milieu der organisierten Kriminalität machen die Runde. Für alle diese Mutmaßungen gebe es bisher keine Belege, stellt Müller allerdings klar.

Das Blutbad in der Nähe des Rüsselsheimer Bahnhofs, wo sich auch das altehrwürdige Opel-Hauptportal befindet, haben zahlreiche Passanten, Lokalgäste und Angehörige hautnah miterlebt. Für diese schockierten Menschen richteten Seelsorger und das Rote Kreuz etwa hundert Meter vom Tatort entfernt am Dienstagabend eine Notfallstation ein.

Eben haben diese Menschen noch in aller Ruhe etwas getrunken oder ein Eis gegessen - jetzt brauchen sie dringend psychologische Hilfe, um das schreckliche, traumatische Erlebnis verarbeiten zu können. Auch am Tag nach dem Verbrechen werden sie versorgt.

Am Tatort in der Fußgängerzone liegen jetzt Blumen. Es brennen Grablichter als Zeichen der Trauer. Rüsselsheim steht unter Schock. "Was ist nur aus unserer Stadt geworden?", sagt ein Anwohner und schüttelt den Kopf.

© SZ vom 14.08.2008/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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