Schachmatt:Großmeister der Täuschung

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Claus-Dieter Schoschies ließ sich als Genie des Problemschachs feiern - nun ist seine komplett erschwindelte Karriere aufgeflogen.

Von Arne Boecker

Der Schachspieler muss gemerkt haben, dass seine Stellung aussichtslos ist. Erst setzte ihm ein Gegner mit Zweifeln zu, dann drängten ihn harte Fakten in die Defensive.

Mit ein paar sinnlosen Zügen versuchte er Zeit zu gewinnen, nun ist der Schachspieler Claus-Dieter Schoschies endgültig mattgesetzt: Der TSV 1860 Stralsund schloss seinen ehemaligen Vorsitzenden aus dem Verein aus.

Der Grund: Betrug, Veruntreuung, Hochstapelei. Für gewöhnlich brauchen Schachspieler Phantasie, um am Brett die Zukunft zu berechnen. Schoschies hat sein Talent dazu genutzt, sich eine Vergangenheit zu konstruieren.

Erfundene Ranglisten sind nur ein Aspekt. Trotz des Betrugs schmunzeln viele über Schoschies. Der Titel des "Hauptmanns von Köpenick" dürfte für dieses Jahr vergeben sein: Er wohnt am Strelasund, im äußersten Nordosten Deutschlands.

Schoschies' Sportart heißt "Problemschach". Der Spieler bekommt hier eine Stellung vorgesetzt, die er in einer bestimmten Anzahl zum Matt entwickeln muss - möglichst schneller als die Kontrahenten.

Einen Gegner, der am Brett gegenübersitzt, braucht er nicht, alles spielt sich im Kopf ab. Der Fernmeldetechniker Schoschies galt als begnadeter "Löser". Ende Februar vermeldete die Ostsee-Zeitung (OZ) Neues über den Lokalmatador: Die Schachorganisation OPCF ("Orthodox Problem Chess Foundation") habe eine Europa-Rangliste veröffentlicht, auf der er sich mit Platz 4 "recht gut in Szene" habe setzen können.

Das Jahr 2004 war für den Schachspieler ohnehin sehr erfolgreich: Ein "Höhepunkt seiner sportlichen Laufbahn" sei die Olympiade in Athen gewesen, schwärmte er auf der Homepage des TSV 1860.

Bei einem Demonstrationswettkampf habe er "alles gegeben für unsere Sportart, aber auch für Stralsund". Zusammen mit Schoschies demonstrierten dem Bericht zufolge Prof. Bill Farmer (USA), Nikolai Garnejew (Russland) und Ole Lars (Finnland) die Schönheit ihrer Disziplin.

Russen als Erzrivalen verkauft

Schoschies hatte der Öffentlichkeit Garnejew schon lange als Erzrivalen verkauft. In einem Turnierbericht wird der Russe mit den Worten zitiert, er habe nur gewinnen können, weil Schoschies "in der Endphase zu viel Respekt vor mir" gehabt habe.

Bei den deutschen "Bestenermittlungen", wie OPCF-Turniere im schönsten Ostdeutsch genannt wurden, setzte Schoschies dagegen oft ein Exilrusse zu. Bartuschow hieß der Mann, Sergej Bartuschow aus Dortmund. Auch 2004 kam es zum Showdown: Im Stechen siegte Bartuschow, weil er seine Aufgabe in 25 Minuten lösen konnte, während Schoschies 40 Minuten über der, wie er schrieb, "Mattkombination mit studienhaftem Endspielcharakter" grübeln musste.

Im Februar wählten die Leser der Ostsee-Zeitung Schoschies zum "Sportler des Jahres". Er sei "überrascht", meinte der laut OZ "sympathische Stralsunder". Inzwischen war er zum Vorsitzenden des TSV 1860 gewählt worden, stolz trug er die Bronzene Ehrennadel des Landesschachverbandes.

Schoschies bekam weit mehr Stimmen als die Bundesligakicker von Hansa Rostock, die die Mannschaftswertung gewannen. Schon Wochen zuvor war in der OZ zu lesen gewesen, wie fleißig Gerhard Peter, einer von Schoschies' Schachkumpeln, Stimmen für den Helden geworben hatte. Ein "G. Peter" tauchte gelegentlich auch als Autor von OZ-Artikeln auf, die aus der Welt des Problemschachs berichteten.

Kurz nach seiner Inthronisation als "Sportler des Jahres" flog Schoschies auf. Olaf Teschke, ein Löser aus Cottbus, war stutzig geworden, als er mit der Begründung "Leider ausgebucht!" nicht zu einem OPCF-Turnier zugelassen wurde. Teschke brauchte nur ein bisschen Logik und Google, um den Schwindel zu entlarven: Die "Orthodox Problem Chess Foundation" gibt es ebenso wenig wie Nikolai Garnejew oder Sergej Bartuschow.

Auch hat es in Athen nie einen Demonstrationswettkampf für Problemschach gegeben. Schoschies' Unterstützer Gerhard Peter entpuppte sich als Pappkamerad. Nachdem Schoschies erst von Intrigen konkurrierender Verbände gesprochen hatte, räumte er schließlich schriftlich ein: "Das Konstrukt OPCF ist frei erfunden. Es hat weder die Wettkämpfe und Erfolge gegeben, noch sind die Mitspieler und Gegner existent."

Um "Anerkennung" sei es ihm gegangen. Hans Schumann vom TSV 1860 hat der Schweriner Volkszeitung erzählt, man habe sich "schon manchmal gewundert, wenn Schoschies beim traditionellen Schach die einfachsten Mattstellungen nicht erkannt" habe. Schoschies hat angekündigt, das Geld zurückzuzahlen, das er vom TSV und Sportbund für Reisen bekommen hat.

In einer kurzweiligen Würdigung des Problemschachgenies vom Strelasund im Internet schreibt Schachdetektiv Teschke: "Vielleicht liegt es ja an der jahrhundertealten Seefahrertradition der Hansestadt, dass man gewohnt ist, in trauter Runde sein Garn zu spinnen?"

© SZ vom 14.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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