Russland:Teures Pflaster

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Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin lässt für 1,7 Milliarden Euro die Straßen sanieren. Das Ergebnis: Lärm, Staus, Riesenpfützen - und nicht sehr erfreute Anwohner.

Von Julian Hans, Moskau

Am Anfang haben die Moskauer noch gelacht über den buddelwütigen neuen Bürgermeister. Sergej Sobjanin war kaum ein halbes Jahr im Amt, da ließ er 2011 überall die Trottoirs aufreißen und neu pflastern. Nachts brachten Bagger und Steinsägen die Menschen um den Schlaf, tagsüber balancierten müde Bürger auf schmalen Bretterstegen über Sandgruben, die einmal Boulevards waren. Damals machte der Witz die Runde, Sobjanins Vorgänger Jurij Luschkow habe aus Rache für seine Absetzung in der Stadtverwaltung das Gerücht gestreut, irgendwo unter den Bürgersteigen der Hauptstadt liege ein Schatz vergraben.

Der Schatz wurde offenbar bis heute nicht gehoben, denn die Wühlarbeit geht weiter. 126 Milliarden Rubel, umgerechnet etwa 1,7 Milliarden Euro, sind für das Programm "Meine Straße" eingeplant, demzufolge bis 2018 insgesamt 4000 Straßen in der Hauptstadt erneuert werden sollen. Viele davon waren vorher eigentlich in keinem schlechten Zustand, finden die Anwohner. Aber das Geld muss wohl ausgegeben werden. Seit Sobjanins Ernennung hält sich das Gerücht, ein Unternehmen, das an den Arbeiten verdient, gehöre seiner Frau. Sobjanin dementiert energisch: "Meine Frau hat so viel Talent zur Unternehmerin wie ich zur Ballerina."

Die gute Laune ist den meisten Moskauern bei dem Thema allerdings vergangen. In diesem Sommer waren wieder große Teile des Zentrums nur mühsam passierbar, und selbst die berüchtigten Staus, die normalerweise über die Ferienmonate etwas abnehmen, blieben dank der Baustellen weitgehend erhalten. Inzwischen treten auch immer mehr Langzeitfolgen der Pflasterwut zutage. Die Stadt ist mittlerweile so gut versiegelt, dass das Wasser kaum noch abfließen kann; ein kurzer Regenguss genügt und Straßen verwandeln sich in Bäche. Nach heftigen Gewittern im Juli und im August machten sich einige den Spaß, durch die Straßen zu schwimmen oder Wasserski zu fahren. Auf dem Manegenplatz, direkt vor den Kreml-Mauern, stand das Wasser knöcheltief, einige Metrostationen mussten vorübergehend schließen, weil sie unter Wasser standen.

Erst schob die Stadtverwaltung die Schuld auf das Klima. Tatsächlich fiel in diesem Sommer außergewöhnlich viel Regen. Dann aber mussten die Beamten einräumen, dass bei der Erneuerung der Straßen die Kanalisation zu kurz gekommen ist. An einigen Stellen wurden Gullys einfach mit Asphalt zugewalzt, an anderen hat die Straße nicht die vorgeschriebene Neigung - statt dass das Wasser ablaufen kann, bilden sich Seen.

Offenbar wird bei der Modernisierung der russischen Hauptstadt zu viel Wert auf die Oberfläche gelegt, während es in der Tiefe gammelt. Das städtische Programm zur Erneuerung der Abwassersysteme wurde selbst nach Angaben der Stadtverwaltung nicht einmal zur Hälfte erfüllt. Ganze zwei Milliarden Rubel sind in diesem Jahr für die Erneuerung des Abwassersystems eingeplant. Für das Programm "Meine Straße" wurden derweil 22 Milliarden ausgegeben, berichtet die Wirtschaftszeitung Wedomosti. Experten schätzen, dass Moskau bei der Erneuerung seiner Kanäle mindestens zehn Jahre im Rückstand ist.

Das Problem sei nicht allein das Geld, erklärt der Leiter des städtischen Abwasser-Unternehmens Moswodostok, Konstantin Ischanjan. Seit dem Jahr 2000 liege ein Plan in der Schublade, 685 Kilometer neue Abwasserrohre zu bauen und 78 Kilometer des bestehenden Netzes zu erneuern. Solche Ausmaße sind kaum zu bewältigen, gerade im Stadtzentrum, weil dafür die Straßen für lange Zeit aufgerissen werden müssten. Also arbeitet man sich lieber an der Oberfläche ab.

Bürgermeister Sobjanin hat nun versprochen, die Stadt bis in zwei Jahren von den Unannehmlichkeiten zu erlösen. Zunächst soll dafür sechs Monate lang ein Plan ausgearbeitet werden. Bis dahin ist längst tiefster Winter - und dem schauen die Bewohner nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres schon mit Bangen entgegen. Getauter Schnee verwandelt die neuen Pflastersteine bei Frost innerhalb kurzer Zeit in eine Eisbahn. Nachdem im Januar die Kliniken voll waren mit Passanten, die sich Knochen gebrochen hatten, schaltete sich die russische Gesellschaftskammer ein. Die Steine seien völlig ungeeignet, beschwerte sich der Vorsitzende des Ausschusses für Infrastruktur, Artjom Kirjanow: "In einer Stadt, in der sechs Monate Winter herrscht, sollte man erst nachdenken, bevor man alles zupflastert, ohne die Auswirkungen vorher zu testen."

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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