Roys Tiger:Nur dressiert, nie gezähmt

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Es ist das Ende eines Showbiz-Märchens: Nachdem Roy Horn von einem Tiger lebensgefährlich verletzt wurde, kann das Duo Siegfried & Roy wohl nicht mehr auftreten. Dessen Show prägte die Stadt Las Vegas entscheidend mit.

New York, 6. September - (SZ vom 07.10.2003) Die Nachricht, dass der Dompteur Roy Horn in der Freitagsvorstellung der Siegfried & Roy-Show von einem seiner weißen Tiger angefallen und lebensgefährlich verletzt worden war, versetzte Las Vegas in einen Schockzustand. Am Sonntagabend versammelte sich eine Menge von rund 300 Menschen vor dem University Medical Centre. Seitdem harren Angestellte und Fans der Show mit Kerzen und Gebeten neuer Nachrichten. Roys Showpartner und Lebensgefährte Siegfried Fischbacher weiche nicht von seiner Seite, hieß es am Montag früh. Roy könne allerdings nur mit matten Handbewegungen reagieren.

Wie schlimm es um den 59-jährigen Roy Horn nach dem Angriff des Tigers steht, hatten die 267 Angestellten der Siegfried & Roy-Show in Las Vegas begriffen, als ihnen die Geschäftsführung des Mirage Hotels am Wochenende mitteilte, dass sie sich nach neuer Arbeit umsehen sollten. Obwohl die Ärzte ihre endgültige Diagnose erst Dienstag oder Mittwoch abgeben wollen, sei die Wahrscheinlichkeit, dass Roy Horn noch einmal mit Siegfried Fischbacher auftrete, relativ gering. Das bedeutet nicht nur das Ende einer der mit Abstand erfolgreichsten Shows in der Geschichte Las Vegas', sondern auch das Ende eines Showduos, das in der Unterhaltungsbranche gleich mehrfach Pionierarbeit geleistet hat.

"Wie eine Stoffpuppe" geschüttelt

Das Unglück hatte sich ungefähr 45 Minuten nach Beginn der Show ereignet. Zunächst wollte der 300 Kilo schwere, siebenjährige Tiger Montecore nicht auf die Bühne kommen. Roy Horn versetzte ihm daraufhin mit seinem Mikrofon fünf leichte Schläge auf die Schädelseite. Als er ihn schließlich auf die Bühnenmitte gelockt hatte, stellte sich der Tiger plötzlich auf die Hinterläufe und biss seinen Dompteur in den Arm. Horn versuchte, die Raubkatze mit Mikrofonschlägen abzuwehren. Fünf Tierpfleger stürzten auf die Bühne, doch der Tiger packte Horn am Hals und zog ihn in die Kulissen. Dabei "schüttelte er ihn wie eine Stoffpuppe hin und her", beschrieb ein Augenzeuge die Szene später.

Die mehr als 1500 Zuschauer glaubten zunächst noch an einen dramatischen Showeffekt, bis der sichtlich erschütterte Siegfried Fischbacher die Bühne betrat und die Vorstellung vorzeitig abbrach. Im Krankenhaus lösten die Verletzungen dann auch noch einen Hirnschlag aus, so dass die Ärzte den Druck auf Horns Gehirn mit einer Notoperation zu lindern versuchten.

Seitdem die beiden deutschstämmigen Magier und Dompteure 1990 ihre Show im Mirage Hotel begonnen hatten, war es bei keiner der rund 5700 Vorstellungen zu einem Zwischenfall mit einer der 63 Raubkatzen gekommen, die das Team im Laufe der Zeit besaß. Tigermännchen Montecore, der wie viele Tiere der Show im Gehege von Siegfried und Roy aufgewachsen war, hatte sogar als eines der verträglichsten Exemplare gegolten.

Doch die Dompteursarbeit mit Raubkatzen ist eine ständige Gratwanderung zwischen Unterwerfung und Instinkt. Prinzipiell gelten Raubkatzen niemals als gezähmt, sondern lediglich als dressiert. Es wird vermutet, dass der stoßartige Lärm, den die Schläge mit dem Mikrofon über die Lautsprecheranlage erzeugten, das Tier so verstörte, dass es seinen Meister mit beinahe tödlicher Gewalt angriff.

Durchbruch in Monaco

Der Vorfall ist wohl das vorläufige Ende eines Showbizmärchens, das 1964 an Bord des Kreuzfahrtschiffs Bremen begann. Der damals 25-jährige Rosenheimer Teppichleger Siegfried Fischbacher arbeitete als Steward und Zauberer. Der 19-jährige Roy Horn aus Nordenham bei Bremen hatte als Page angeheuert. Zunächst verband sie die gemeinsame Tierliebe. Horn überredete Fischbacher damals, einen zahmen Geparden in seine Vorstellung einzubauen, den sein Onkel an Bord gebracht hatte.

Über die dann folgenden Jahre entwickelten sie eine Show, mit der sie relativ erfolglos durch Deutschland tourten. Ihr Durchbruch kam erst, als das Fürstenpaar von Monaco, Grace und Rainier, die beiden einlud, 1966 bei einer Benefizgala für sie aufzutreten. Vier Jahre später unterschrieben sie beim MGM Hotel & Casino ihren ersten Las-Vegas-Vertrag. Damit begann ein Aufstieg, der sie über das Frontier Hotel zum Mirage brachte, wo sie vor zwei Jahren einen Vertrag auf Lebenszeit unterschrieben.

In Las Vegas stehen Siegfried & Roy heute in einer Reihe mit den wenigen Legenden, die dort nicht nur ihre Karriere zementierten, sondern die Stadt entscheidend geprägt haben. Frank Sinatra und das Rat Pack standen für Bugsy Siegels Spielerparadies. Elvis Presley brachte den Rock'n'Roll nach Vegas. Der Showpianist Liberace und der Entertainer Wayne Newton etablierten die Langzeitshows in Las Vegas. Siegfried & Roys Engagement im Mirage markierte 1990 die Wende vom Sündenbabel zu einem Las Vegas als Vergnügungspark für die ganze Familie.

Der Besitzer des Mirage, Steven Wynn, hatte erkannt, dass man mit dem Massentourismus noch viel mehr Geld verdienen kann als mit den Spielern und der Halbwelt. Wynns Vorbild machte Schule. Heute haben neben Siegfried & Roy auch jugendfreie Entertainer wie der Cirque de Soleil, die Performancetruppe Blue Man Group und die "Titanic"-Diva Celine Dion eigene Theater, in denen sie fast täglich auftreten. Erst seit letztem Jahr versucht die Stadt, mit Hotels wie dem Palm's oder dem Hard Rock Casino und einer aufwändigen Werbekampagne ihr neues, braves Image wieder loszuwerden und ein jüngeres Poppublikum für Las Vegas zu begeistern.

"Bringt die Katze nicht um"

Ohne es zu wollen, haben Siegfried&Roy allerdings auch politische Pionierarbeit geleistet. Obwohl sie nie über ihre Privatbeziehung sprachen und immer wieder betonten, dass sie in ihrem drei Hektar großen Jungle-Lodge-Anwesen getrennte Gemächer bewohnen, so haben sie mit ihrer kinder- und familienfreundlichen Show der Homosexualität in der amerikanischen Massenkultur den sündhaften Ruch genommen.

Siegfried&Roy hatten sich jedoch nicht nur einen Namen als Showgrößen gemacht. Mit ihrer Arbeit engagierten sie sich auch für den Tierschutz und den Erhalt von aussterbenden Tierarten. Das 18 Millionen teure Wildgehege ihres Secret-Garden-Komplexes in der Nähe des Mirage Hotels ist eine der weltweit vorbildlichsten Anlagen. Und so waren Roy Horns letzte Worte, bevor er in die Bewusstlosigkeit fiel, nach Angaben der Sanitäter: "Bringt die Katze nicht um." Seinem Wunsch wurde nachgegeben. Am Montag wurde der verstörte Montecore nach zweitägiger Quarantäne wieder im Secret Garden untergebracht.

© Von Andrian Kreye - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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