Reportage:Vom Schachweltmeister zum Flüchtling

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Nach Bobby Fischers Verhaftung bleibt die Frage, wie das Schachgenie all die Jahre unentdeckt bleiben konnte.

Henrik Bork

Berühmter als die glücklichen Helden werden oft die unglücklichen Helden. So einer wie Bobby Fischer. Vom umjubelten Schachweltmeister abgestürzt zum Flüchtling. Er ist schon längst zu einer traurigen Figur geworden, ein verwirrter Schachbesessener und Antisemit. Mit seinem Einzug in eine japanische Gefängniszelle hat er nun seinen Anspruch auf Berühmtheit neu untermauert.

Bobby Fischer (r.) und Boris Spasski bei einem Duell während der Schach Olympiade in Siegen 1970 (Foto: Foto: AP)

Viel tiefer kann man jedenfalls nicht mehr stürzen. Am Freitag vergangener Woche wurde Bobby Fischer am Flughafen Narita in Tokio festgenommen. Seine japanische Bekannte Miyako Watai, Generalsekretärin des japanischen Schachverbands, sagt, dass sein Pass in Washington offenbar im Dezember letzten Jahres annulliert wurde. Warum erst jetzt, verstehe sie nicht.

Fischer jedenfalls habe davon nichts gewusst, er habe sich bei der Festnahme gewehrt. "Er sagte mir, dass die Beamten ihn geschlagen haben und ihm eine Tüte über den Kopf gestülpt haben. Er hatte einen losen Zahn, den haben sie ihm bei dem Gerangel ausgeschlagen", sagt Miyako Watai.

Der "beste Schachspieler der Welt", lange untergetaucht, der seinen Häschern immer einen Zug voraus war, wurde somit endgültig in die Ecke gedrängt. "Schach Matt, Bobby Fischer", stand am Morgen nach der Festnahme in Japans Zeitungen.

"Ich bin so gut wie tot", soll Fischer nach dem Gerangel gesagt haben. Miyako Watai weiß, was er damit gemeint hat: "Er ist 61 Jahre alt und sie wollen ihn für zehn Jahre ins Gefängnis werfen." Japan erwägt Presseberichten zufolge offenbar, Fischer an die USA auszuliefern. Dort wird er seit zwei Jahrzehnten gesucht. Washington wirft ihm vor, mit einem Schachspiel in Jugoslawien das Wirtschaftsembargo gegen den ehemaligen Diktator Slobodan Milosevic gebrochen zu haben.

Nun also wird Fischer, der niemanden mehr hasst als Journalisten, diese creeps, dieses Widerlinge, wieder ins Schlaglicht der Medien gezerrt. Der strahlende Held von Reykjavik mit einem ausgeschlagenen Zahn in einer japanischen Zelle. Der Mann, der 1972 in einem dramatischen Zweikampf den amtierenden Schachweltmeister Boris Spassky aus der Sowjetunion bezwang.

29 Jahre war er damals alt, aber mit seinem gescheitelten blonden Haar und seinen maßgeschneiderten Anzügen sah er noch immer aus wie das Wunderkind, das schon mit 13 Jahren Nationalmeisterschaften gewonnen hatte. Fischer, das "Genie". Ein Amerikaner, der einen jener russischen Großmeister bezwang, die bis dahin das Schachspiel unangefochten dominiert hatten.

Kampf der Systeme

Das war auf der Höhe des Kalten Krieges, und so stilisierten die Medien dieses Schachspiel damals zum Jahrhundertduell. Es ging um den Kampf der Systeme, wie beim ersten Menschen im All, beim ersten Mann auf dem Mond, in Vietnam. Die USA hatten bis zu Fischers Triumph das Image eines Cowboy- und Baseball-Landes, nicht das einer intellektuellen Großmacht. Viel später, als er bereits in Ungnade gefallen und verbittert war, hat Bobby Fischer es so zusammengefasst: "Niemand hat im Alleingang so viel für die USA getan wie ich."

Bescheidenheit war nie seine Sache. Damals war er zwei Tage zu spät zum Duell nach Reykjavik gekommen, weil ihm das Preisgeld anfangs zu niedrig war. Als er schließlich in Island aufkreuzte, zermürbte er Spassky mit immer neuen Beschwerden. Mal reflektierte das Schachbrett zu viel Licht, mal störte ihn das Surren der Fernsehkameras. Die Medien liebten sie, diese große, exzentrische Fischer-Show.

Von da an ging es bergab. Fischer spielte keine Turniere mehr. Seinen Weltmeistertitel verlor er 1975, weil er ihn nicht gegen den Herausforderer Anatoly Kasparov verteidigen wollte. Er trat vorübergehend einer obskuren Weltuntergangs-Sekte bei, der "Worldwide Church of God". Angebote, wieder Schach zu spielen, lehnte er ab, selbst als der Schah im Iran ihm für ein Spiel zwei Millionen Dollar und der philippinische Diktator Ferdinand Marcos drei Millionen Dollar boten.

Für viele blieb Fischer trotzdem der unangefochtene Star des Spiels. 1981 ließ er sich noch einmal zu 17 Runden "Blitzschach" gegen den russischen Großmeister Peter Biyiasas überreden. Fischer gewann alle 17. "Er war zu gut", zitierte das Magazin Atlantic den Russen später, "es hatte keinen Sinn, gegen ihn zu spielen."

Anschließend tauchte Fischer wieder in seine selbst gewählte Isolation ab. Es war eine Sensation, als er 1992 zu einem zweiten Duell gegen Boris Spassky überredet werden konnte. Das Spiel sollte in Jugoslawien stattfinden, am zwanzigsten Jahrestag des Matches von Reykjavik. Kurz zuvor hatten die USA Sanktionen gegen den damaligen Diktator Slobodan Milosevic verhängt. Die amerikanische Regierung warnte Bobby Fischer in einem Brief davor, nach Belgrad zu reisen. Auf Sanktionsbruch stehe eine Strafe von 250 000 US-Dollar und zehn Jahre Gefängnis.

Er spielte, gewann und floh

Als er auf der Pressekonferenz von einem Journalisten gefragt wurde, was er von der Warnung seiner Regierung halte, zog Fischer den Brief aus Washington aus seiner Aktentasche. "Hier ist meine Antwort auf ihr Verbot, hier meinen Titel zu verteidigen", sagte Fischer. Dann spuckte er auf den Brief, vor laufenden Fernsehkameras. Washington beschloss, ein Exempel zu statuieren und jagte ihn seither rund um den Erdball.

Fischer spielte, gewann, bekam mehr als drei Millionen Dollar Siegprämie und entzog sich der Festnahme, indem er mit seinem US-Pass von einem Land ins nächste reiste.

Doch während Schachspieler auf der ganzen Welt noch immer jede seiner Eröffnungen, jeden seiner Züge studierten, versank Fischer endgültig in die Obskurität. Mehr noch als die echte Verfolgung setzt ihm sein Verfolgungswahn zu. Von 1999 an hat er einem kleinen Radiosender auf den Philippinen, Radio Bomba, eine Reihe von Interviews gegeben.

Darin schimpfte und wütete er gegen das "Weltjudentum", das seiner Meinung nach die USA beherrscht und es auf ihn abgesehen hat. Die Nachricht vom Terrorangriff des 11. September nannte Fischer in einem dieser Interviews "wunderbar", George W. Bush titulierte er als "Bastard".

Seine Webseite, die Fischer offenbar von Japan aus betrieben hat, ist voller antisemitischer Ausfälle und geschmackloser Judenwitze. Den Holocaust bezeichnet er darin als Lüge. Schon 1962 hatte Fischer in einem Interview gesagt: "Es gibt zu viele Juden, die Schach spielen." Inzwischen haben sich die meisten ehemaligen Freunde von Fischer abgewendet.

Nur ein paar Schachfanatiker lieben und verteidigen ihn bis heute. Sie waren es, die ihm Unterschlupf gewährten. "Er reiste viel durch Asien und Europa, aber in Japan hat er die meiste Zeit verbracht", sagt Miyako Watai, die ihn seit mehr als zwanzig Jahren kennt. Offenbar war Fischer am Freitag auf dem Weg nach Manila, wo er eine 24-jährige Frau und eine vierjährige Tochter hat.

"Fischer liebt Deutschland und Japan, weil es in diesen Ländern so sauber ist", sagt Miyako Watai, die nur deshalb redet, weil sie Bobby Fischer helfen will. Viele Fragen lässt sie unbeantwortet. Keine Antwort darauf, wo er all die Jahre gelebt hat, wer ihm Unterschlupf gewährt hat. Sie spricht lieber über Unverfängliches. "Er liebt Sushi, besonders die mit rohem Seeigellaich, Soba-Nudeln und japanische Onsen-Bäder.

Es gefällt ihm, dass die Züge so sauber sind und die Leute darin so friedlich schlafen." Schach habe Fischer auch mit seinen wenigen Freunden nicht mehr gespielt, nur das von ihm selbst erfundene "Fischer Random Chess", erzählt sie. Das gewöhnliche Schach sei "geistige Masturbation", ist auf seiner Webseite zu lesen.

"Ich möchte ihm helfen, irgendwo politisches Asyl zu finden", sagt Miyako Watai. "Er hat doch niemanden umgebracht, er hat nur in Jugoslawien eine Partie Schach gespielt."

© SZ vom 19.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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