Religion und Vernunft:Ratzingers Angriff auf die Demokratie

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Da der Papst in der Religion auch die Vernunft verwirklicht sieht, glaubt er zu wissen, was der Natur des Menschen widerspricht. Die Schäden für die Demokratie sind gewaltig.

Paolo Flores d'Arcais

Die Modernität, die wir kennen, die westliche Modernität, die zur Demokratie führt, gründet sich auf der Idee von der Autonomie des Menschen. Autos nomos, der Mensch ist Gesetz (nomos) seiner selbst (autos). Der Mensch ist also souverän, legt das eigene Gesetz fest, statt es von oben und vom Anderen, von einem transzendenten Gott, zu erhalten.

Der Mensch ist gerade deshalb frei, weil er nicht mehr gezwungen wird, Normen zu gehorchen, die ihm von außen aufgezwungen werden, oder die von weltlichen Mächten stammen, die behaupten, diesen göttlichen Willen zu verkörpern (Päpste und/oder Könige). Die Voraussetzung für Modernität ist die Autonomie, die Souveränität seiner Selbstregierung.

Das lange Pontifikat von Karol Wojtyla war eine ununterbrochene Anklage und Kritik an dieser Modernität. Der polnische Papst - ausgehend davon, dass die Autonomie des Menschen nichts als eine Anmaßung sei - hatte die Aufklärung als alchemistische Retorte bezeichnet, die den moralischen Nihilismus und in der Konsequenz den Totalitarismus des 20.Jahrhunderts mit seinen Massenmorden hervorgebracht hat. Kurz und gut:

Verschärfter Bannfluch

Es ist Voltaire, der am Anfang der KZ und des Gulag steht! Sowohl Wojtyla als auch sein Nachfolger haben sich den berühmten Satz von Dostojewski zu eigen gemacht: "Wenn es Gott nicht gibt, ist alles erlaubt."

Joseph Ratzinger, der ja der führende Ideologe von Papst Wojtyla war, verschärft nur dessen Bannfluch gegen die Modernität und gliedert ihn in eine kulturelle und politische Strategie ein, in einen schlagkräftigen Kreuzzug, dessen Ziel der Rückschritt ist.

Eckpunkt dieser Strategie ist die Vorstellung, dass - angesichts einer Wertekrise der Demokratien, die die globalisierte Welt in den Ruin führt - nur ein Gott uns retten kann. In diesem Zivilisationskonflikt stehen auf der einen Seite die Religionen in ihrer Gesamtheit sowie auf der anderen Seite jede Gesellschaft, die ohne Gott auskommen will.

Die Regensburger Rede vom 12.September 2006, die einige islamische Regierungen dazu gebracht hat, den Fanatismus der Massen gegen den Papst zu mobilisieren, war in Wirklichkeit eine Einladung zum Monotheismus (den Islam mehr denn je eingeschlossen), um gemeinsam Front gegen die wirkliche Bedrohung der Zivilisation zu machen: gegen den Atheismus und die Gleichgültigkeit, also gegen den Laizismus, der sich anmaßt, Gott aus dem öffentlichen Bereich auszuschließen, in dem Gesetze gemacht werden.

Primat seiner Kirche

Ratzinger behandelt selbstverständlich nicht alle monotheistischen Religionen gleich. Der christlichen Religion in seiner ,,römisch-apostolisch-katholischen'' Form behält er das Primat vor, das ihr aus der Fähigkeit erwächst, eine Religion nicht nur des Glaubens, sondern auch des Logos zu sein.

Eine Religion also, die nicht nur in der Lage ist, die göttliche Offenbarung anzunehmen, sondern auch die menschliche Vernunft und deren Tradition seit Sokrates verwirklichen kann. Eine Religion also der wirklichen Aufklärung, der sozusagen "richtig verstandenen" Vernunft.

Aber wenn die Doktrin der römischen Kirche und ihres Papstes eine Wahrheit konstituiert, die nicht nur auf dem Glauben, sondern auch auf der Vernunft aufbaut, so folgt daraus der Anspruch, dass Parlamente und Regierungen keine Gesetze erlassen dürfen, die in Konflikt mit dieser Doktrin stehen - weil das dann Gesetze wären, welche der "Natur des Menschen" widersprechen würden.

Gesetze "gegen die Natur"

Und gegen die Natur sind nach der katholischen Kirche, wie wir wissen: die Abtreibung, die Empfängnisverhütung (das Kondom eingeschlossen), die Scheidung, die wissenschaftliche Forschung mit Stammzellen, die Homosexualität und natürlich die Euthanasie (das heißt die Entscheidung eines Kranken, der im Endstadium unsagbare Leiden ertragen muss, seine Folter nicht zu verlängern).

Bei all solchen Themen, die durch den wissenschaftlichen Fortschritt in ihrer Zahl noch zunehmen werden, wird Ratzinger nicht müde zu wiederholen, dass ein Parlament und eine Regierung, die Gesetze "gegen die Natur" verabschieden, ipso facto illegitim werden würden, auch wenn sie nach den Regeln der konstitutionellen Demokratie gewählt worden seien.

Die gleiche Haltung hatte Wojtyla auch gegenüber dem polnischen Parlament eingenommen (dem ersten, nach einem halben Jahrhundert, demokratisch gewählten!), als dieses über die Abtreibung beriet.

Er sprach von "einem Genozid in unserer Zeit" - Worte, die eine haarsträubende Gleichsetzung von Holocaust und Abtreibung herstellen, von einer Frau, die abtreibt, und einer SS-Schergin, die ein jüdisches Kind in den Ofen eines Krematoriums wirft.

Das Land als schwaches Glied

Diese Dinge wurden Wojtyla (auch von der laizistischen Welt) wegen seiner angeblichen "Friedenspolitik" nachgesehen. Joseph Ratzinger dagegen hat eine neue Phase eingeleitet. Er ist überzeugt, das die Krise der Demokratien zur Folge hat, dass sich der Kirche größere und unerwartete Einflussräume bieten - sowohl bei der politischen Klasse als auch bei den Bürgern.

Die Strategie wird gerade in Italien deutlich: Das Land wird als schwaches Glied angesehen, wo man diese "Wiedereroberung" als erstes ausprobieren kann, um dann nach Spanien zu wechseln, in der Hoffnung, dass man eines Tages auch in Deutschland tätig werden könnte. Frankreich, wie es sich aktuell gibt, scheint noch zu tief in seiner republikanischen Laizität verwurzelt zu sein, um hier einen kulturellen und politischen Kreuzzug zum Rückschritt zu erwägen.

Der Kern dieser Strategie ist jedoch zum Scheitern verurteilt, die gemeinsame Front der Religionen gegen die Aufklärung des autonomen Menschen wird keinen Erfolg haben. Jede Religion behauptet, "wahrer" als andere zu sein, der Konflikt nach der Regensburger Rede wird nicht der einzige bleiben.

Klerikale Massendemonstration

Aber die Schäden, die diese neue heilige katholisch-islamische Allianz (und wachsende Teile des Judentums sowie des Protestantismus in Nord- und Südamerika eingeschlossen) in ihrer pars destruens gegen die Demokratien verursacht, sind gewaltig. In Italien ist es der Kirche gelungen, sogar ein unglaublich ausgewogenes Gesetz über eheähnliche Partnerschaften zu blockieren.

Für den 12.Mai ist darüber hinaus eine gigantische klerikale Massendemonstration geplant, die von der italienischen Bischofskonferenz abgesegnet wird. Und wie nach einem Drehbuch kündigt auch die spanische Kirche eine neue Offensive an. Dagegen schweigt die laizistische Welt, aus Unaufmerksamkeit oder aus Opportunismus.

Paolo Flores d'Arcais, italienischer Philosoph und Publizist, beschäftigt sich seit Jahren mit Joseph Ratzinger. Beide veröffentlichten das Buch "Gibt es Gott?" Übersetzung: Henning Klüver.

© SZ vom 12. April 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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