Reisepass für Eskimos:Gefangen im ewigen Eis

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Die kanadischen Inuit dürfen ihr Land nicht mehr verlassen, solange sie keine gültigen Ausweise vorzeigen können. Nur: Viele der Inuit müssten durch drei Zeitzonen reisen, bloß um sich Passfotos machen zu lassen.

Von Bernadette Calonego

Die Eskimos im kanadischen Territorium Nunavut brauchen einen reisefreudigen Passfotografen. Vorbei sind die Zeiten, da die Ureinwohner auf Hundeschlitten oder im Kajak benachbarte Nationen besuchen konnten - ohne Reisepapiere.

Nur noch mit Reisepass durchs ewige Eis: Eskimos. (Foto: Foto: AP)

In der Ära nach den Terroranschlägen vom 11.September 2001 in New York sind auch die Menschen in Nunavut in die Fänge der staatlichen Bürokratie geraten: Die kanadischen Inuit - so nennen die Eskimos sich selbst - müssen auf ihren Reisen durch das ewige Eis neuerdings einen Pass vorweisen.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Viele Inuit leben nämlich an Orten, wo es weder Passbüros noch Passfotografen gibt. Das Territorium Nunavut wurde im April 1999 offiziell gegründet, in der Sprache der Inuit heißt es "Unser Land".

Nur auf dem Luftwg zu erreichen

Es ist sechsmal so groß wie Deutschland, umfasst ein Drittel der Landfläche Kanadas und drei Zeitzonen. Und viel, viel Eis. "Es gibt keine Straßen zwischen den Siedlungen", sagt Nunavuts Immigrationsminister Ed Picco. Die meisten der 28 Gemeinden sind nur auf dem Luftwege und während einiger Sommerwochen auch auf dem Wasser zu erreichen.

Zwar kann man in der Hauptstadt Iqaluit Passbilder machen lassen. Dort lebt aber gerade einmal ein Fünftel der rund 30.000 Einwohner von Nunavut. Der Rest der Bevölkerung ist über das immense Territorium verteilt - die nördlichste Siedlung, Grise Fiord, ist 1400 Kilometer von Iqaluit entfernt.

Und so kämen Pass und Bilder den Inuit ziemlich teuer: Wer zum Beispiel von Resolute Bay nach Iqaluit fliegen müsste, nur um sich für einen neuen Pass ablichten zu lassen, sagt Minister Picco, zahle rund 900 Euro allein für den Flug.

Eine Idee wäre ein Fotograf, der in die entlegensten Ecken dieses Territoriums reisen, Passfotos von den weitab wohnenden Eskimos machen und sie im Anschluss an ein Passbüro übergeben würde. Den reisenden Fotografen müsste aber die Zentralregierung in Ottawa bezahlen, findet Picco.

Keine Verwandtschaftsbesuche mehr

Früher konnten die Inuit ohne Pass beispielsweise ins benachbarte Grönland reisen. Auf dieser dänischen Insel haben die kanadischen Inuit viele Verwandte. Sie teilen eine gemeinsame Sprache, Inuktitut, und deren Dialekte. Diese Reisen nach Grönland seien früher auf einer halb offiziellen Ebene geregelt worden, erklärt Ed Picco: "Das war nicht so streng wie heute."

Aber Fotos sind nicht das einzige Hindernis für die Ureinwohner. Die Pässe werden ausschließlich in Englisch oder Französisch ausgestellt. Dabei sprechen 85 Prozent der Bevölkerung nur die Inuitsprache Inuktitut. Pässe in Inuktitut sind aber nicht vorgesehen, sodass die Menschen Pässe hätten, deren Inhalt sie selbst gar nicht verstehen würden.

Noch komplizierter wird es mit den Namen der Inuit. Die meisten Eskimos hatten vor den siebziger Jahren nur Vornamen. Erst dann mussten sie sich einen Familiennamen zulegen. Vorher identifizierte die Regierung jede Person mit dem Buchstaben E und einer dreistelligen Zahl.

Picco sagt, die Anforderungen für einen Pass seien für viele Inuit zu schwierig. Denn außer der komplizierten Sache mit dem Foto brauchen sie eine Geburtsurkunde mit dem vollen Namen, eine Sozialversicherungsnummer und einen Führerschein, der in Kanada so viel wie ein Personalausweis wert ist. Im vereisten Nunavut gibt es jedoch kaum Autos. "Wie können wir also Führerscheine haben?", fragt Picco.

Er reiste eigens nach Ottawa, um sein Anliegen bei der Regierung vorzubringen. Doch er fühlte sich nicht verstanden. "In Ottawa sind die Menschen seltsam", sagt er. "Wir sind anders als sie." Bis die Regierungsbeamten in Ottawa ein Einsehen haben, können die Eskimos ihr Land nicht mehr verlassen - und die Inuitfamilien in Nunavut und Grönland bleiben getrennt.

© SZ vom 04.05.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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