Prozess um Intersexualität:Jahrelanges Leiden als Zwitter

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Das Kölner Landgericht hat einer Krankenpflegerin Schmerzensgeld zugesprochen. Ein Chirurg hatte ihr ohne Einwilligung die Geschlechtsorgane entfernt.

Nach ihrem jahrelangen Leidensweg als Zwitter hat das Kölner Landgericht einer Krankenpflegerin in einem bislang beispiellosen Verfahren Schmerzensgeld zugesprochen. Ein Chirurg habe der 48-Jährigen ohne die notwendige Einwilligung ihre intakten weiblichen Geschlechtsorgane entfernt, urteilte die Zivilkammer. Über die Höhe des Schmerzensgeldes muss noch entschieden werden. Die Klägerin hatte wegen der rund 30 Jahre zurückliegenden Operation 100.000 Euro gefordert.

Die Klägerin vor dem Kölner Landgericht. (Foto: Foto: ddp)

Das Urteil sei Balsam für ihre "wunde Seele", sagte die Düsseldorfer Krankenpflegerin nach Verkündung der Entscheidung. "Ich wurde durch die Medizin gegen meinen Willen zum Mann gemacht, damit muss ich leben. Aber ich hoffe nun auf eine menschwürdigere Behandlung", erklärte die Frau, die als Thomas auf dem Personenstandsregister eingetragen ist, sich selbst aber Christiane nennt.

In dem seit Dezember vor dem Kölner Landgericht anhängigen Verfahren ging es um einen Fall von Geschlechterverwirrung: Bei der Geburt war die ungewöhnlich vergrößerte Klitoris des Babys irrtümlich als Penis angesehen worden. Das Kind wurde deshalb von den Eltern als Junge erzogen und erhielt den Namen Thomas. Erst bei einer Blinddarmoperation fiel auf, dass die Klägerin über eine Gebärmutter und Eierstöcke verfügte. Diese wurden von dem beklagten Kölner Chirurgen ein Jahr später entfernt.

Chirurg ging von verkümmerten Geschlechtsorganen aus

Laut Urteil waren die Ärzte vor der Operation davon ausgegangen, dass sich die weiblichen Geschlechtsorgane in einem hochgradig verkümmerten Zustand befunden hätten. Doch sei dies ein Irrtum gewesen, wie der Chirurg bei der Operation erkannt habe, erklärte der Vorsitzende Richter Dietmar Reiprich. Auch habe der Arzt damals bemerkt, dass entgegen der Erwartungen keine Anzeichen für eine gemischt weiblich-männliche Geschlechtlichkeit vorlägen. "Die Klägerin war von der Anatomie her völlig weiblich, daher hätte er die Operation ohne eine neue Einwilligung nicht fortsetzen dürfen", erklärte Reiprich.

Die Entscheidung der Kölner Zivilkammer wertet die Krankenpflegerin als Chance für viele weitere Leidensgenossen, die wie sie wegen ihrer nicht eindeutigen äußeren Geschlechtsorgane als intersexuell bezeichnet werden. "Die Tabuisierung der Zwitter muss aufhören und ich hoffe, dass sich viele meinem Beispiel anschließen und für ihre Rechte kämpfen", sagte die 48-Jährige. Ihr Leben sei durch Unwissenheit und eine Reihe von ärztlichen Fehlern verpfuscht worden.

Sie selbst hat in den nächsten Monaten noch viel vor: Seit 18 Monaten versucht sie nach eigenem Bekunden bereits ihren männlichen Vornamen auch offiziell in Christiane umzuwandeln. "Noch bin ich gegen verschlossene Türen gerannt, aber ich gebe nicht auf - jetzt erst recht nicht."

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