Prozess um brutalen Mord von Perugia:Abgründe einer Idylle

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Die Schöne oder das Biest? Amanda Knox muss sich gemeinsam mit einer anderen Studentin in Perugia vor Gericht verantworten. Sie sollen ihre britische Kommilitonin grausam ermordet haben.

Stefan Ulrich

Wer Amanda Knox warten sieht auf der Anklagebank, im Ringelpulli, mit ihrem blassen, ebenmäßigen Gesicht, den glattgekämmten langen Haaren und dem zaghaften Lächeln, der fragt sich, wie die hübsche Amerikanerin, die fast noch wie eine Schülerin aussieht, in all das hineingeraten konnte. Warum sie am Freitag im Schwurgerichtssaal des Justizpalastes von Perugia sitzt und nicht, ein paar Schritte weiter, in einer Aula der Fremden-Universität. Warum sie am Ende dieses ersten Verhandlungstages wieder abgeführt und in eine Zelle gesperrt wird, anstatt mit ihren Kommilitonen um den Brunnen der Piazza IV Novembre zu bummeln oder in einer Bar auf dem Corso Vannucci einen Cappuccino zu trinken.

Blasses, ebenmäßiges Gesicht und Ringelpulli: Amanda Knox vor Gericht in Perugia. Der Fall erregt in Italien, Großbritannien und in den USA ungeheueres Aufsehen. (Foto: Foto: Reuters)

Auch die 21 Jahre alte Amanda scheint sich das zu fragen, den Eindruck macht sie jedenfalls. Vor Prozessbeginn sagte sie: "Ich bin unschuldig und werde das beweisen. Ich war die Freundin von Meredith und habe sie nicht getötet."

Meredith Kercher, das ist die andere junge Frau in dieser Studentengeschichte. Polizisten fanden die Britin am 2. November 2007 halbnackt und mit durchgeschnittener Kehle auf dem Bett ihres Zimmers in einem Häuschen nahe der Uni von Perugia liegen. 22 Jahre war Mez, wie sie genannt wurde, damals alt.

Amanda Knox, die sich gern Foxy Knoxy rufen lässt, soll sie ermordet haben, gemeinsam mit zwei jungen Burschen. Einer von ihnen, der Italiener Raffaele Sollecito, sitzt nun mit ihr in dem freskengeschmückten Gerichtssaal. Der zweite, der aus Afrika stammende Rudy Guede, wurde im Oktober in einem abgekürzten Verfahren zu 30 Jahren Haft verurteilt.

Die Schöne oder eher das Biest?

Der Mordfall erregt in Italien, Großbritannien und in den USA ungeheueres Aufsehen. Schließlich gilt das pittoresk auf einem Hügelrücken gelegene Perugia als Ort, an dem junge Leute aus aller Welt fern von Eltern und sonstigen Zwängen Italien und das Studentenleben erkunden können.

Lachen, Liebe und lange Nächte, das scheint zu Perugia zu passen, aber doch nicht gewalttätiger Gruppensex, Drogenrausch und Mord. Und dann ist da noch diese Angeklagte, die all die Widersprüche in sich zu vereinen scheint: die blauäugige Amanda Knox, "das Engelsgesicht", wie die italienischen Zeitungen schreiben, die unschuldige Schöne - oder doch das Biest?

Die Angeklagte hat sich seit ihrer Festnahme zu einer Art Pop-Phänomen entwickelt, als sei sie die Heldin einer Fernsehserie. In Amerika werden T-Shirts und Teddys mit dem Aufdruck "Free Amanda" angeboten. Im Internet fällen zahlreiche Blogger ihre Urteile - schuldig oder unschuldig.

Weibliche TV-Persönlichkeit des Jahres

Amanda Knox selbst bekommt Unmengen Fanbriefe und Heiratsanträge ins Gefängnis geschickt. Die Zuschauer eines italienischen Privatsenders wählten sie zur weiblichen TV-Persönlichkeit des Jahres 2008. Erste Bücher über ihren Fall kommen auf den Markt. Außerdem durfte Amanda Knox in der Haft als Schauspielerin an einem Film mitwirken.

Auf Seite 2: Wie Amanda die Amanda-Manie verkraftet

Die Angeklagte selbst verkraftet die Amanda-Manie offenbar recht gut. Sie studiert im Gefängnis Fremdsprachen, auch Deutsch, spielt Gitarre, schreibt Geschichten und setzt auf einen baldigen Freispruch. "Ich habe keine Angst vor der Wahrheit und hoffe, dass sie am Ende herauskommt", sagt sie.

Die Staatsanwälte aber sind überzeugt, den Angeklagten Mord und sexuellen Missbrauch nachweisen zu können, auch wenn es an einem Geständnis fehlt und die Motive mysteriös wirken. Nach Ansicht der Ankläger hat sich die Tat am Abend des 1. November 2007 so zugetragen: Unter Einfluss von Drogen und Halloween-Fantasien wollen Amanda, Raffaele und Rudy ihre Bekannte Meredith - die mit Amanda in dem Häuschen lebt - zu Sexspielen zwingen. Meredith weigert sich. Rudy versucht, sie zu vergewaltigen. Meredith wird gewürgt. Dann halten sie die Männer fest, während ihr Amanda ein Messer in den Hals sticht. Die Täter schrubben die Wohnung, um Spuren zu beseitigen, und schlagen ein Fenster ein, um einen Raub vorzutäuschen.

DNS-Spuren auf dem Messer

War es so? Die Fahnder stellten in Raffaeles Wohnung ein 31 Zentimeter langes Küchenmesser sicher. Darauf fanden sich DNS-Spuren Amandas und Merediths. Außerdem gelang es ihnen, auf dem Boden der Wohnung die Abdrücke nackter, blutverschmierter Füße wieder sichtbar zu machen. Sie sollen zu Amanda passen.

Weitere Fußspuren rechnen die Staatsanwälte Raffaele und Rudy zu. Zudem entdeckten sie DNS-Spuren Rudys, unter anderem auf einem Tampon Merediths. Raffaele soll einen "genetischen Fingerabdruck" auf dem Büstenhalter der Toten hinterlassen haben. Hinzu kommt, dass Amanda zunächst einen Unschuldigen der Tat verdächtigte. Die Ermittler halten die Amerikanerin für "unbefangen und durchtrieben" zugleich, während sie Raffaele als enthemmt, unreif und von Gewaltpornos angezogen beschreiben.

Die drei jungen Leute beteuern jedoch ihre Unschuld. Der bereits verurteilte Rudy behauptet, er sei in der Tatnacht zwar in der Wohnung gewesen, habe mit dem Mord aber nichts zu tun. Den hätten die beiden anderen begangen. Die Verteidiger Amandas glauben dagegen, ein großer Unbekannter habe die Britin getötet. Sie verweisen auf weitere Spuren, die in dem Häuschen gefunden wurden, aber nicht zu den Angeklagten passen. Die Rechtsanwälte Raffaeles verfechten die These, Meredith habe einen Einbrecher überrascht und sei von diesem getötet worden. Sie forderten am Freitag, die Untersuchungshaft wegen schwerer Verfahrensfehler aufzuheben.

Die Verteidiger kritisieren, die Justiz habe schlampig ermittelt und Spuren verwechselt. Solche Vorwürfe wurden von angelsächsischen Blättern aufgegriffen. Ob sie zutreffen, müssen nun die zwei Berufs- und sechs Laienrichter bewerten. Der Prozess dürfte viele Monate dauern. Es wird erwartet, dass mehr als 200 Zeugen und Dutzende Sachverständige aussagen. Danach wird man - vielleicht - wissen, wer Amanda Knox wirklich ist.

© SZ vom 17.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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