Prozess in Paris:Von "Bande der Barbaren" zu Tode gefoltert

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Der Fall entsetzt Frankreich: Weil sie einen Juden drei Wochen bestialisch gequält haben, stehen 27 junge Leute aus einem Pariser Vorort vor Gericht.

G. Kröncke

Der Jude musste sterben, weil er Jude war. Sonst hätten sie ihn nicht ausgesucht, sie hielten ihn für eine leichte Beute. In Paris beginnt an diesem Mittwoch vor einem Schwurgericht der Prozess gegen die "Bande der Barbaren", wie sie sich großsprecherisch nannte. Auf Entführung, Folter und Mord lautet die Anklage.

Ein Jahr nach seinem gewaltsamen Tod wurde Ilan Halimi am 9. Februar 2007 in Jerusalem feierlich beerdigt. (Foto: Foto: AFP)

27 junge Menschen aus Bagneux, einem Pariser Vorort, stehen vor Gericht. Weil einige von ihnen zur Tatzeit vor drei Jahren noch minderjährig waren, wird der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Die Familie des Opfers hat heftig dagegen protestiert. Unklar war am Dienstag noch, ob die Presse zugelassen wird.

Youssouf Fofana hatte schnell zu Geld kommen wollen und deshalb beschlossen, einen Juden zu entführen. Die Juden, so hatte er als Chef der Bande seinen Mittätern erklärt, könnten bezahlen, weil sie reich seien und wenn die Familie zufällig nicht reich sei, dann würden andere Juden für sie zahlen. Unter den jungen Leuten der Cité hatte er beliebig viele Helfer gefunden. Sie haben den jungen Ilan Halimi, der gerade 23 Jahre alt war, in kaum vorstellbarem Maße erniedrigt, sie haben ihn gefoltert bis zum Tode.

Der Fall wirft ein deprimierendes Licht auf die Wirklichkeit der Banlieue. Wie groß die Gewaltbereitschaft ist und auch, dass die Mädchen mehr als früher eingespannt werden in kriminelle Aktivitäten. Elf der Angeklagten sind junge Frauen. Erschreckend bleibt, dass es zwar unter den Tätern einen gab, der nach ein paar Tagen ausgestiegen ist, aber sich nicht mal traute, der Polizei anonym einen Hinweis zu geben. Man spricht nicht mit der Polizei.

Wahrscheinlich haben selbst Unbeteiligte geahnt, dass etwas vor sich ging im Keller des Blocks an der Rue Prokofiev. Für die ersten Tage war Halimi in einer leerstehenden Wohnung festgehalten worden, zu der ein Hausmeister gegen Honorar den Schlüssel rausgerückt hatte. Auch er muss sich vor Gericht verantworten.

So wurde gefoltert: Der Hilflose lag in einem Keller, die Hände gefesselt, die Füße mit starkem Klebeband zusammengebunden, Augen und Mund zugeklebt. Nur die Nase blieb frei. Sie schnitten ihm die Kleider auf und machten ein paar Photos, die der Familie gesendet wurden. Zwischendurch gingen sie immer wieder nach Hause, damit die Eltern sich nicht sorgten. Manche entfernten sich, um ihre Gebete zu verrichten.

"Le Boss" und "der Andere"

Natürlich hat die übergroße Mehrheit nichts geahnt, und manche sind bis heute traumatisiert. "Niemand hätte für möglich gehalten, dass so etwas bei uns möglich ist", sagt Jean-Max Calice, der im Rathaus von Bagneux für Sport und öffentliche Arbeiten zuständig ist. "Am schlimmsten ist, dass die Täter die Kinder von Bagneux sind."

Der Ort gehört zu den letzten Bastionen der einst mächtigen Kommunistischen Partei. Der Bürgermeister hatte zum Gedenken an das Opfer zu einer Demonstration aufgerufen. In Paris gingen einige tausend Juden und Nicht-Juden auf die Straße. Aber die professionellen Anti-Rassismus-Organisationen tun sich schwer. Von SOS Rassismus war nichts zu hören.

Die Mitglieder der Bande nannten ihr Opfer "den Anderen". Untereinander riefen sie sich beim Spitznamen. Youssouf Fofana war "Oussama" oder auch nur "le Boss". Eine junge Frau namens Emma hatte dem jungen jüdischen Verkäufer in einem Geschäft am Pariser Boulevard Voltaire Avancen gemacht. Ilan Halimi war wohl ein bisschen naiv, aber gerade das, so erinnern sich seine Freunde, habe seinen Charme ausgemacht.

Er hatte sich mit Emma verabredet und das Rendezvous endete mit seiner Entführung auf offener Straße. Wie ein Judas hatte sie bei ihrem Treffen ein Stichwort gesagt und drei oder vier hatten sich auf den überraschten jungen Mann gestürzt. Drei Wochen lang sollte sein Martyrium dauern, bis hin zum Tode.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Fofana ein Produkt der französischen Gesellschaft ist

Die Bande, von Fofana rekrutiert, stammte fast ausnahmslos aus demselben Häuserblock Pierre-Plate oder aus der Allee Prunier-Hardy in Bagneux. Wenn Fofana wenigstens ein richtiger Gangster gewesen wäre, dann hätte das Opfer vielleicht noch eine Chance gehabt. Er hatte die Rollen unter seinen Komplizen aufgeteilt, manche waren für die Bewachung zuständig, andere für die telefonischen Verhandlungen mit den Angehörigen, einer war der Spezialist für den E-Mail-Verkehr. 450.000 Euro forderten sie von der Familie, aber entweder waren ihre Anweisungen zu konfus oder sie erschienen nicht zur Geldübergabe. Ein Treffen kam nicht zustande.

Fofana ist die Schlüsselfigur des Falles, ein eitler junger Mann, der sich für etwas Großes hält und immer noch hofft, aus seinem Verbrechen Kapital zu schlagen. Wenigstens drei Dutzend Anwälte hat der junge Mann bisher vergrault. Er hat sie jeweils abgelehnt oder so nachhaltig beleidigt, dass sie selbst das Mandat niederlegten.

In der Hauptrolle Gangster

Er ist ein Albtraum für Advokaten. Zum Beispiel für Pascal Missamou, dessen Namen er ursprünglich für jüdisch hielt und dann ganz überrascht war, dass ihm in der Besucherzelle ein schwarzer Mensch gegenübertrat. Maître Missamou ist kongolesischer Herkunft. Einer Sonntagszeitung hat er erzählt, dass er aufgehört habe, seinen Mandanten im Gefängnis zu besuchen, nachdem Fofana obszöne Botschaften an seine Frau geschickt habe.

Offenbar lebt Fofana in dem Wahn, dass er das Zeug für einen Star des Bösen hat. Sachverständige haben zwar einige psychopathische Züge an ihm diagnostiziert, aber mit mangelnder Schuldfähigkeit dürfte er nicht davonkommen. Vielmehr gefällt er sich in der Rolle eines Gangsters, und die versucht er zu spielen wie im Film. Er ahnt nicht, dass das Verbrechen schon im Kino zu sehen war: der Regisseur Bertrand Tavernier hat einmal einen Goldenen Bären für seinen Film "Der Lockvogel" bekommen. Der Plot war wie im Leben, aber der Tod Ilans war grauenvoller, als Kino sein kann.

Der Anwalt Missamou fürchtet, dass der hoffnungslose junge Mann entgegen seinen eigenen vagen Ideen weder eine afrikanische noch eine muslimische Kultur habe, obwohl er noch im Jahr vor der Entführung regelmäßig in die Moschee gegangen war. "Er ist ein Produkt der französischen Gesellschaft", vermutet der Anwalt, "er hat die Kultur der Jugend in den Banlieues." Das einzig Entlastende, das ihm einfällt: Was er getan hat, sei gewiss furchtbar, aber nicht antisemitisch. Er sei unfähig zu jeder Ideologie. Das ist möglicherweise die einzige Linie, die einer Verteidigung bleibt.

Die junge Frau Emma, die den Lockvogel spielte, bereut ihre Tat bitter. In einem Brief an Ilans Mutter hat sie sogar um Verzeihung gefleht, aber Madame Halimi denkt nicht daran zu vergeben. Nicht Worte zählten, drei Wochen hätte die junge Frau Zeit gehabt, ihren Sohn zu retten.

Emma war erst zur Polizei gegangen, als ihr Phantombild in den Zeitungen erschien. Ilan war nicht mehr zu retten. Nach 21 Tagen entledigte sich die Bande ihres Opfers. Nackt und mit Folterspuren bis hin zu Verbrennungen wurde er, geknebelt und an den Zaun eines Bahndamms gefesselt, aufgefunden. Er starb noch im Krankenwagen.

© SZ vom 29.04.2009/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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